DI in Inge Schrattenecker.

© Markus Gmeiner

„Der Bauträger denkt, dass der Staat denkt.“

Interview mit Dipl.-Ing. Arch. Martin Ploß. Er arbeitet seit 2005 am Energieinstitut Vorarlberg, seit 2011 leitet er dort den Bereich Energieeffizientes Bauen. Er studierte Architektur an der TU Kaiserslautern.

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh

Belazzi: Du beschäftigst dich seit deinem Studium als praxisnaher Forscher mit kostenoptimalem und energieeffizientem Bauen. Warum?

Ploß: Mir ist wichtig, zu zeigen, dass energieeffizientes und ökologisches Bauen kein Luxus für Wenige ist, sondern in jedem Bauprojekt zu geringen Mehrkosten und im Lebenszyklus – bzw. während der Kreditlaufzeit wirtschaftlich umgesetzt werden kann. Nur wenn dieser Nachweis gelingt, werden sich die aus Klimaschutzgründen notwendigen Qualitäten in der Masse durchsetzen.

Belazzi: Das von dir geleitete Forschungsprojekt KliNaWo, Klimagerechter nachhaltiger Wohnbau, ist bis heute ein Leuchtturm für die Demonstration der Wirtschaftlichkeit energieeffizienter Gebäude.  Was waren die Forschungsziele?

Ploß: Hauptziel war es, den Einfluss des Energieniveaus auf die Investitionskosten zu untersuchen und die zu realisierende Variante nach den Lebenszykluskosten für Investition, Wartung und Energie auszuwählen. Gemeinsam mit den Projektpartnern - der gemeinnützigen Wohnbauvereinigung VOGEWOSI und der AK Vorarlberg - wollten wir herausfinden, wie ein Konzept für Mehrfamilienhäuser aussieht, das die Ziele der Energieautonomie möglichst kostengünstig und wirtschaftlich erreicht. Dazu wurde zunächst der vorhandene Gebäudeentwurf energetisch-wirtschaftlich optimiert. Für diesen Entwurf wurden dann 60.000 Varianten untersucht, unter anderem vier Konstruktionsarten vom Holz- bis zum Massivbau in je zwei energetischen Qualitäten, mit verschiedenen Lüftungssystemen, vier verschiedenen Energieträgern, sowie mit unterschiedlich dimensionierten Solarsystemen. Für alle Varianten wurden Energiebedarfs­berechnungen durchgeführt und die Investitionskosten in modularen Ausschreibungen bestimmt. Darauf aufbauend konnten die Lebenszykluskosten aller Varianten berechnet werden. Errichtet wurde die Variante mit den niedrigsten Lebenszykluskosten.

Belazzi: Und was war das Ergebnis der Berechnungen?

Ploß: Ein sehr spannendes: Wir konnten zeigen, dass bei der Variante mit den niedrigsten Lebenszykluskosten die Bauwerkskosten nur um 3 % steigen und der rechnerische Endenergiebedarf für Heizung und Warmwasser um etwa 65 % unter dem Bedarf der Variante nach Bautechnikverordnung liegt. Das Projekt zeigt, dass die Mehrkosten für Energieeffizienz nur einem Bruchteil der Kosten entsprechen, die durch extrem steigende Grundstückspreise und die Überhitzung des Wohnungsmarkts entstehen: Der Trend zum „Beton-Gold“ führt zu einer stark steigenden Nachfrage. In Folge steigen die Baupreise deutlich schneller als die Einkommen.

Belazzi: Die 3 % Mehrkosten waren das Ergebnis der Ausschreibung, die 65% Einsparung Ergebnis der Berechnungen. Wie sah die Praxis aus?

Ploß: Die abgerechneten Baukosten lagen sogar um 130 EUR/m2WNF unter den anhand der Ausschreibung ermittelten Kosten. Die Errichtungskosten lagen um 230 EUR/m2WNF unter den durchschnittlichen Kosten von 69 zeitgleich errichteten gemeinnützigen Projekten in Vorarlberg.

Der gemessene Endenergieverbrauch lag knapp unter dem Wert, der in den Verbrauchsprognose­berechnungen bestimmt worden war. Mit dem gemessenen Verbrauch von 14 kWh/m2WNFa für Heizung und Warmwasser ist das Projekt eines der effizientesten Mehrfamilienhäuser in Österreich. Ein voller Erfolg also – Investitionskosten niedriger, als zum Zeitpunkt der Vergabe bestimmt und reale Energieverbräuche niedriger als berechnet. In Folge konnte die Miete zweimal gesenkt werden.

Belazzi: KliNaWo war ein Vorarlberger Projekt. Danach gab es ein Nachfolgeprojekt in anderen Bundesländern.

Ploß: Richtig. Gemeinsam mit AEE – Institut für Nachhaltige Technologien haben wir das Forschungsprojekt „KoProLZK+“, Kosten- und Prozessoptimierung im Lebenszyklus von Niedrigst- und Plusenergiegebäuden, durchgeführt. Darin konnte wir für Neubau- und Sanierungsvorhaben in mehreren Bundesländern die österreichweite Gültigkeit der KliNaWo-Ergebnisse belegen: das Kostenoptimum liegt stets bei weit höheren Qualitäten als in den Mindestanforderungen der OIB RL 6 festgelegt.

Belazzi: Wenn kostenoptimales Bauen kaum mehr kostet, warum ist es bis heute nicht im Mainstream angekommen?

Ploß: Praxis ist heute, dass die Investitionskosten minimiert werden. Lebenszykluskosten werden praktisch nie berechnet. Diese Vorgangsweise ist ein Abbild der Gesellschaft. Kurzfristige Betrachtungszeiträume wie am Aktienmarkt, nur Wenige schauen langfristig. Langlebigkeit, Reparierbarkeit und erneuerbare Energien rechnen sich jedoch langfristig.

Belazzi:  Wie lässt sich das ändern?

Ploß: Der Staat muss ambitionierte Vorgaben machen. Die heutigen sind zu schwach. Der Bauträger erfüllt die vom Staat vorgegebenen Mindestanforderungen und denkt vielleicht, dass die staatlichen Anforderungen den Klimaschutzzielen entsprechen. Das ist aber ein großer Irrtum.

Belazzi: Öffentliche Bauherrn und gemeinnützige Bauträger, die ihre Gebäude jahrzehntelang bewirtschaften, sollten an kostenoptimalen Bauen besonders interessiert sein. Ist das so?

Ploß: Nicht immer, aber in Vorarlberg gibt es einen sehr erfolgreichen Ansatz - den „Kommunalgebäudeausweis“, kurz KGA. Diesen haben wir mit Partnern in einem mehrstufigen Prozess – forschen, beraten, KGA-Kriterien definieren und in der Förderung verankern – entwickelt und in die Praxis gebracht. Durch klare Kriterien, mit begleitender Beratung und einer abgestimmten Förderung ist der KGA in den letzten Jahren ein Erfolgsmodell geworden. Ein wichtiger Faktor ist, dass die Förderung umso höher ausfällt, je höher die Punktzahl im KGA ist, je höher also die energetisch-ökologische Qualität ist.

Belazzi: Das Gesamtpaket muss also stimmen?

Ploß: Richtig! Es ist sehr wichtig politische Vorgaben zu machen, etwa Klimaneutralität 2040 der Bundesregierung. Aber auch die Vorgaben – etwa die Mindestanforderungen an die Effizienz von Gebäuden – müssen auf das Gesamtziel abgestimmt sein. Das fehlt noch.

Belazzi: Wenn du einen Wunsch an die Fee hast, was wäre dieser?

Ploß: Österreich sollte endlich eine CO2-Steuer einführen. Österreich ist das reichste EU-Land ohne CO2-Steuer! Diese ist ein ganz wichtiges Lenkungsinstrument für die Dekarbonisierung einer Volkswirtschaft.
Ich hoffe, die Fee hat für mich noch einen zweiten Wunsch frei: Dieser wäre, dass rasch definitive Ausstiegspläne für fossile Energieträger im Hochbau festgelegt werden. Mein Vorschlag wäre ein Verbot für den Neubau ab 2025 und ab 2035/2040 müssen Öl- und Gasheizungen auch aus Bestandsgebäude ausgebaut sein. Solche klaren und ambitionierten Rahmenbedingungen bringen Planungssicherheit für alle und sind die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung.

Wien, im Februar 2021