Dipl.-Ing. Peter Tappler

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„There is no glory in prevention.“

Interview mit Dipl.-Ing. Peter Tappler, Chemiker, Sachverständiger für Innenraumhygiene, leitet seit 1999 den Arbeitskreis Innenraumluft im Umweltministerium (BMK). Weiters ist er geschäftsführender Gesellschafter der IBO Innenraumanalytik OG und Präsident des Bundesverbandes für Schimmelsanierung und technische Bauteiltrocknung.

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh

Belazzi: Schadstoffe in Innenräumen begleiten die Menschheit schon seit ganz langer Zeit. Die Qualitätsdiskussion um Raumluft wurde nun mit SARS-CoV2 um einen neuen Aspekt ergänzt. Du arbeitest an dem Simulationsprogramm VIR-SIM, um das Infektionsrisiko in Innenräumen abschätzen zu können. Was tut dieses?

Tappler: Vieles im Corona-Bereich ist unbekannt, das schwierigste ist die Abschätzung der Virusmenge, die von einer infizierten Person abgegeben wird und  die Abschätzung der Anzahl an Viren, die erforderlich ist, um eine Infektion bei einem Menschen hervorzurufen.
Die Abschätzungen in unserem Tool sind zwar etwas wackelig, aber wenn man Literaturdaten von anderen Viren heranzieht, dann lassen sich durchaus Abschätzungen des Risikos anstellen – grundsätzlich zeigt sich auch, dass die wichtigsten Faktoren die Raumgröße und der Luftwechsel sind. Die Raumgröße ist deshalb wichtig, weil dieselbe Anzahl an Viren sich in größeren Räumen mehr verteilen können als in kleinen. VIR-SIM trifft Annahmen zu Raumgröße, Belegung, Luftwechsel etc. Es ermöglicht eine Abschätzung, ob es im jeweiligen Raum ein hohes Risiko gibt oder ob das Risiko vertretbar ist. Das Programm ist aber kein sicherer Schutz vor Ansteckung, sondern ein Werkzeug, um das Infektionsrisiko zu senken. VIR-SIM wird in Kürze auf www.raumluft.org frei verfügbar sein.

Belazzi: Wer hat VIR-SIM entwickelt?

Tappler: Die Inhaber des Programms ist die IBO Innenraumanalytik OG. Die Datengrundlage stammt vom Hermann-Rietschl-Institut der TU Berlin und anderen Forschungsgruppen.

Belazzi: Was sind generell wichtige Faktoren für die Vorbeugung einer Corona-Infektion in Innenräumen?

Tappler: Wichtig ist eine gute Belüftung, bei RLT-Anlagen Frischluftsysteme. Umluftsysteme sind schlecht, ausgenommen, wenn diese wie im Spital oder Flugzeug hochwertige Filter haben. Zentral ist die Vermeidung von vielen Personen in geschlossenen Räumen mit schlechter Lüftung!

Belazzi: Sowohl im Wohnbau als auch in Schulen sind Komfortlüftungen derzeit in Österreich aber eher die Ausnahme. Rächt sich das nun mit Corona?

Tappler: Im Wohnbau wirkt sich dieser Rückschritt weniger aus, ganz anders aber in Schulen. In den letzten Jahren wurde in Österreich erfolgreich verhindert, dass Schulen standardmäßig mit Lüftungsanlagen ausgestattet werden. Es gibt daher nun Schulen mit guter und solche mit schlechter Lüftung, in manchen Fällen können die Fenster gar nicht geöffnet werden. Es ist daher zu befürchten, dass manch eine Schule zu einer wahren Brutstätte für SARS-CoV2 wird, da die Ansteckungsgefahr über Tröpfchen oder Aerosolen in schlecht gelüfteten Schulen deutlich erhöht ist. Es ist zu hoffen, dass die Corona-Pandemie den Bauherrn und Planenden nun die Wichtigkeit von Lüftungsanlagen klarmacht!

Belazzi: Kleiner Themenwechsel: Lohnt ein Blick über die Grenzen nach Deutschland? Gibt’s dort raumluftrelevante Fragestellungen, die in Österreich noch kein Thema sind?

Tappler:  Ich bin seit fast 10 Jahren Mitglied der Innenraumlufthygiene-Kommission des deutschen Umweltbundesamts. Dort ist das Thema Lüftung im Unterschied zu Österreich sehr stark gewichtet. 2017 wurden Lüftungsanlagen in einer Richtlinie für Schulen dringend empfohlen, de facto vorgeschrieben. 2020 wird es in Deutschland eine Richtlinie für Wohnungen mit derselben Empfehlung geben. Diese soll dann für Österreich adaptiert und beschlossen werden.
Deutsche Fachgremien haben verstanden, dass Lüftungen in Räumen eine sehr große Bedeutung haben, und das werden wir auch in Österreich in geeigneter Form so umsetzen. Aktuell gibt es für Österreich ein allgemein gültiges Positionspapier zur Lüftung von Räumen (Schulräume etc.). Darin ist verankert, dass 1000 ppm CO2 als Mittelwert für Räume, wo geistige Leistungen erbracht werden oder die der Regeneration dienen, als obere Grenze angesehen ist. Dies gilt für Büros, Schulen und Schlafräume.

Belazzi:  Warum gibt es so große Widerstände gegen Lüftungsanlagen?

Tappler:  Lüftungsanlagen sind nicht gerne gesehen, weil sie bei der Errichtung Geld kosten. Dies ist aber ein sehr kurzsichtiger Standpunkt, denn langfristig erspart man sich viel Geld durch Vermeidung von Krankenständen und Komfortgewinn. Daher wird im erwähnten Positionspapier empfohlen, ein Lüftungskonzept für neue Gebäude und Umbauten zu erstellen. Das dabei unterstützende Planungstool zur Berechnung der CO2-Konzentration (CO2-SIM) wurde aktualisiert und ist über www.raumluft.org abrufbar. Klares Ziel ist, dass Lüftungskonzepte in Österreich Standard werden.

Belazzi: Du bist seit vielen Jahren als Sachverständiger für Innenraumschadstoffe tätig. Was sind deine Learnings daraus für alte und neue Gebäude? Was sind typische Schadensfälle?

Tappler: Neben Schimmel sind Lösemittelanwendungen eine große Schadensursache. Das sind etwa lösemittelhaltige Abdichtungen und Brandschutzanstriche im Innenbereich, bei denen die Aushärtzeiten nicht eingehalten wurden. Weitere Quellen sind sonstige Beschichtungen auf Metall, Beton und Holz, auch Möbellacke sind immer wieder Thema.

Belazzi: Muss man auch noch die Emissionen aus Holz und Holzwerkstoffen im Auge behält?

Tappler:  Ja, hier sind Formaldehyd abgebende Leime das Thema. Formaldehyd kann, wenn man nicht aufpasst, bei großflächiger Anwendung und schlechter Lüftung zur Raumluftbelastung werden. Daher ist Qualitätssicherung, wie sie bauXund mit dem Chemikalienmanagement umsetzt, so wichtig. „Genau hinschauen“ als zentrale Vorgabe. Sinnvoll ist, in der Planung geeignete, Formaldehyd-freie Leime für Holzwerkstoffe zu definieren und möglichst emissionsarme Hölzer zu verwenden.

Belazzi: Warum wird diese Qualitätssicherung nicht breit umgesetzt?

Tappler:  “There is no glory in prevention.” heißt es im Englischen. Das bringt es auf den Punkt. Vorsorge ist nichts Spektakuläres, das einem Bauherrn oder Planer viel Ruhm und Ehre einbringt. Daher wird diese leider viel zu oft nicht oder nicht konsequent umgesetzt. Bauplanung ist jedoch sehr wichtig, genauso wie die Virenvorsorge. Man merkt dies oft nur, wenn diese nicht gemacht wird!

Belazzi: Wenn du einen Wunsch an die Fee hättest, der kurzfristig sicher in Erfüllung geht, was wäre dieser?

Tappler: Bessere Lüftung von Schulen ist mein größtes Anliegen. Das wäre die größte einzelne Verbesserung. Nicht nur in Corona-Zeiten, sondern im Sinne der Leistungsfähigkeit und des Lernerfolgs der SchülerInnen.
Bis vor kurzem war mein Hauptanliegen das Rauchverbot in der Gastronomie. Dessen Umsetzung war eine ganz wichtige Maßnahme. Unsere Studien haben als fachlichen Grundlage dazu beigetragen. Dieses wurde nun Dank des bekannten Videoauftritts eines rauchenden österreichischen Politikers und der danach geänderten politischen Konstellation endlich umgesetzt.

Wien, August 2020