Dr. Jutta Kraus

„Bei der Schad- und Störstofferkundung und dem Rückbau auf Baustellen ist noch viel Luft nach oben“

Interview mit Dipl.-Ing.in Dr.in Jutta Kraus, Bundesministerium für Klimaschutz, Sektion V „Umwelt und Kreislaufwirtschaft“

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh.

Belazzi: Können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Kraus: Ich bin technische Chemikerin und seit bald 30 Jahren als Sachverständige im Ministerium tätig. Meine Themenfelder sind fachlich chemische zum großen Bereich des Recyclings von Baurestmassen wie die Recycling-Baustoffverordnung oder die Recyclinggips-Verordnung und auch zur Deponieverordnung.

Belazzi: In Österreich fallen laut Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2023 etwa 70 Mio. Tonnen Abfälle an. Wie groß ist der Anteil der Bauwirtschaft?

Kraus: Von den genannten 70 Mio. Tonnen, diese Zahlen stammen aus 2020, sind etwa 41 Mio. Tonnen Aushubmaterialien und etwa 11 Mio. Tonnen Bau- und Abbruchabfälle. Das heißt: In Summe ist die Bauwirtschaft für 75% des gesamten österreichischen Abfallanfalls verantwortlich.

Belazzi: Damit ist klar, dass wir mit der Bauwirtschaft im Zentrum des Abfallanfalls angekommen sind…

Kraus: Ja, ganz bestimmt. Und die Entwicklung ist eindeutig: Es gab einen laufenden Anstieg des Abfallanfalls. Von 2015 bis 2020 war der Anstieg 24% bei Aushub, bei den Bau- und Abbruchabfällen 14%.

Belazzi: Wie ist das begründet?

Kraus: Der Grund liegt aus meiner Sicht einerseits an der vermehrten Bautätigkeit in den letzten Jahren, aber auch, dass das Thema Abfallvermeidung noch nicht wirklich angekommen ist. Denn der Ausblick gemäß den Prognosen des Umweltbundesamtes im Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2023 zeigt zwischen 2019 und 2026 einen Anstieg beim Aushub um 8%, bei Bau- und Abbruchabfällen sogar um 28%.

Die EU-Kreislaufwirtschaftsstrategie definiert eine Reduktion von 25% bis 2030. Dafür gibt es leider keine einfachen Lösungen. Der erforderliche Maßnahmenmix verlangt ein komplexes Zusammenspiel aller Beteiligten, von Bund, Ländern, Gemeinden, den Planenden und der Bauwirtschaft. Als Grundlagendokument ist der Plan sehr gut. Er betont etwa die Wichtigkeit der Sanierung gegenüber dem Neubau und den Einsatz von Sekundärmaterialien. Auch die Trennbarkeit bei Verbundmaterialien ist ein wichtiges Thema. Oft besteht hier ein Zusammenhang zwischen hochentwickelten Baustoffen mit unterschiedlichen Materialkomponenten und deren schlechter Trennbarkeit.

Belazzi: Was wären noch Maßnahmen, die Kreislaufwirtschaft zu fördern?

Kraus: Optionen gibt es mehrere, deren Auswahl ist aber ein politisches Thema. Aus fachlicher Sicht reichen die Möglichkeiten der Förderung von Recycling-Baustoffen  - z.B. verpflichtende Recyclingquoten -  über das Verbot der Deponierung ausgewählter Abfallfraktionen bis hin zu steuerlichen Anreizen (Stichwort Kostenwahrheit). Fakt ist, dass Primärmaterialien oft günstiger sind als Recyclingmaterialien. Denn letztere haben den Zusatzaufwand für die Sammellogistik ebenso wie für die begleitende Analytik, damit sichergestellt ist, dass die recycelten Baustoffe sauber und sicher sind.

Belazzi: Welche konkreten Maßnahmen aus Ihrem Bereich wurden in der letzten Zeit umgesetzt oder sind in Vorbereitung?

Kraus: Wir haben Deponierungsverbote formuliert, etwa das mit 1.1.2024 in Kraft getretene Verbot der Deponierung von z.B. Straßenaufbruch, technischem Schüttmaterial, Betonabbruch, Gleisschotter und Asphalt, das gut angenommen wird. Auch konkretisieren wir Abfallzuordnungen und damit Abfall-Schlüsselnummern, etwa um Glas- und Mineralwolle unterscheidbar zu machen. Denn das ist die Grundvoraussetzung für die getrennte Sammlung und das Recycling. Die Recyclinggips-Verordnung, die derzeit in Begutachtung ist und noch heuer in Kraft treten soll, wird das für 1.1.2026 beschlossene Verbot der Deponierung von Gipsplatten bei Verwertbarkeit detaillieren. Und dann gibt es als zentrales Instrument die Recycling-Baustoffverordnung, die schon 2016 in Kraft getreten ist. Deren normative Grundlagen werden regelmäßig verbessert.

Belazzi: Können Sie noch weitere Informationen zur geplanten Recyclinggips-Verordnung geben?

Kraus: In der Recyclinggips-Verordnung sind Gips-Wandbauplatten, früher Gipsdielen genannt, Vollgipsplatten, Gipsbausteine, Gips-Feuerschutzplatten, Gipsvliesplatten und Gipsfaserplatten enthalten. Früher nannte man Gipsplatten Gipskartonplatten. Nicht erfasst ist z.B. Stuckgips, der darf mangels der Möglichkeit einer getrennten Erfassung weiter deponiert werden.

Belazzi: Wo bzw. wie kann der Recycling-Gips verwendet werden?

Kraus: Das vorzeitige Abfallende ist für den direkten Einsatz des Recycling-Gipses in Gipsplatten geplant. Gips kann aber auch in der Gipsbindemittelindustrie und der Zementindustrie eingesetzt werden. Die Nachfrage nach Gips steigt, gleichzeitig sinkt die Menge an REA-Gips aus der Rauchgasreinigung von Kohlekraftwerken, weil diese nun europaweit aus Klimaschutzgründen weniger werden. Gips ist chemisch auch ein schöner Fall, da es als Material beliebig oft im Kreislauf geführt werden kann. Anlagen für das Gips-Recycling in Österreich sind bereits in Planung. Ein Zusatz-Benefit ist, dass durch die Abtrennung des Gipses aus dem Abfallstrom der Baurestmassen das Sulfat-Problem auf Deponien deutlich reduziert wird. Auch die Kontamination der Gesteinskörnungen mit Sulfat, die z.B. bei der Herstellung von Beton stört, wird so reduziert. Wir haben daher einen Mehrfachnutzen. Das ist eine wunderbare Sache.

Belazzi: Für Mineralwolle gibt es seit der Novelle der Deponieverordnung 2021 auch ein Deponierungsverbot ab 1.1.2027. Davor soll es noch eine Evaluierung der technischen Umsetzbarkeit geben.

Kraus: Nach mir vorliegenden Informationen funktioniert bei Glaswolle das Recycling auch von Glaswollen anderer Hersteller technisch bereits sehr gut. Bei Mineralwolle gibt es technisch da noch mehr Probleme, da Mineralwollen sich untereinander chemisch stärker unterscheiden, aber es wird daran gearbeitet. Eine Anlage in Österreich für Glas- und Mineralwolle ist in Planung. Ich befürworte die Beibehaltung der in der Deponieverordnung gesetzten Frist eines Verbots mit 1.1.2027, da die Vorlaufzeit seit 2021 ausreichend lange ist, um die Umsetzbarkeit sicherzustellen. Ein weiterer Anreiz für das Recycling sind die in den letzten Jahren massiv gestiegenen Preise für die Deponierung von Mineralwollen, weil diese die Standsicherheit von Deponien beeinträchtigen.

Belazzi: Eine Bodenaushubverordnung ist ebenfalls in Erstellung?

Kraus: Ja, wir arbeiten an einem Begutachtungsentwurf. Es sollen die Behandlungspflichten, sprich die Inhalte des aktuellen Bundes-Abfallwirtschaftsplans, in eine Verordnung übergeführt und um Regelungen zu einem vorzeitigen Abfallende erweitert werden. Damit wird Rechtssicherheit geschaffen. Diese wird absehbar nicht 2024 in Kraft treten, aber es soll heuer noch der Entwurf in Begutachtung gehen. Bodenaushub wird von Baufirmen zumeist deponiert - aus den Augen aus dem Sinn – anstatt diesen als Rohstoff zu sehen und sich eine Verwertung zu überlegen. Sie gehen den bisher gegangenen und scheinbar einfacheren Weg. Die Bodenaushubverordnung soll hier einen Impuls für ein Umdenken geben.

Belazzi: Die Recycling-Baustoffverordnung ist nun acht Jahre alt. Was ist Ihre Bilanz?

Kraus: Es hat sich viel getan: Die Schad- und Störstofferkundung ist etabliert. Wir haben nun nicht nur allein Asbest als Schadstoff, sondern eine viel längere Liste von PAK/Teer über PCB bis FCKW und Schwermetalle. Ebenso ist die Trennpflicht von gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen verankert. Damit fallen Schadstoffe auch tatsächlich an! Auch der Rückbau bekam einen Impuls. Fakt ist aber auch, dass bei der Schad- und Störstofferkundung und dem Rückbau auf Baustellen noch viel Luft nach oben ist.

Wir haben auch die „rückbaukundige Person“ ins Leben gerufen. Zu Beginn war die Sorge, dass es zu wenige rückbaukundige Personen geben wird. Heute, eben 8 Jahre später, haben wir genug. Jetzt müssen wir einen Schritt weiter gehen und die Qualität der Tätigkeit der rückbaukundigen Personen absichern. Wir müssen das Niveau heben, Akkreditierung oder Zertifizierung wären denkbare Möglichkeiten. Es wurde begonnen, die zugrundeliegende Norm, die ÖNORM B 3151, akkreditierbar zu machen, um Qualitätsunterschiede wegzubekommen. Wir wollen eine Qualität definieren, egal ob für kleine oder große Baustelle. Denn die Trennpflicht gilt unabhängig von der anfallenden Abfallmenge. Es sind Schadstoffe in kleinen Gebäuden genauso verbaut wie in großen. Auch eine regelmäßige Überprüfung der Kompetenz der Gutachter:innen ist geplant. Wir müssen die Qualität der Tätigkeit der Gutachter:innen heben, derzeit ist es nicht zufriedenstellend.

Belazzi: Meine letzte Frage ist zu asbesthaltigen Natursteinen. Diese dürfen – trotz Asbestverbot – weiterhin legal verkauft und damit eingebaut werden.

Kraus: Ja, das stimmt. Abfallseitig ist alles klar: Wenn ein Abfall, egal ob der Asbest technisch zugesetzt wurde oder „natürlicherweise“ im Stein vorhanden ist, mehr als 0,1 Gewichtsprozent Asbest enthält, dann handelt es sich um einen gefährlichen Abfall und dieser ist als asbesthaltig zu entsorgen. Das gilt auch für den Verschnitt bei der Neuverarbeitung.

Wir haben das Thema auch in anderen Anwendungen. Manche Hartgesteine enthalten z.B. erhöhte Mengen an Nickel oder anderen Schwermetallen. Auch hier gilt: Erst beim Rückbau wird der Schadstoffgehalt schlagend. Das Abfallrecht ist augenscheinlich weiter. Wir müssen hier Produktrecht und Abfallrecht zusammenführen. Es gibt noch viel zu tun.

Wien, im März 2024