Mag. Bernd Vogl, Leiter der MA20 Energieplanung der Stadt Wien

© Christian Fürthner

„Nachhaltigkeit geht immer von innen nach außen“

Interview mit Mag. Bernd Vogl, Leiter der MA20 Energieplanung der Stadt Wien.

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh

Belazzi: Du beschäftigst dich schon lange mit Energiethemen und Bauen. Was waren wichtige Meilensteine?

Vogl: Ich bin seit 2011 der Leiter der MA20 Energieplanung der Stadt Wien und war davor 18 Jahre in der Energieabteilung des Umweltministeriums. Ich habe mich auch dort schon sehr intensiv mit der Baubranche, dem ökologischen Bauen und der Versorgung mit Erneuerbaren Energien beschäftigt. Themen waren damals etwa Solarbaugruppen, die Passivhaus-Entwicklung und der Staatspreis für Bauen und Nachhaltigkeit. Ich war viele Jahre auch der Projektleiter des klimaaktiv Programms im Ministerium.

Belazzi: Der Wechsel 2011 zur MA20 war daher eine große Veränderung?

Vogl: Nein. Ich kam in ein sehr ähnliches Tätigkeitsfeld, wechselte allerdings auf die Bundesländerebene. Das kam mir sehr entgegen. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass man konkreter an Projekten dran ist. Die MA20 verantwortet ein breites Themenfeld, von der Abwicklung der PV- und Solarförderungen bis zum Städtischen Energieeffizienzprogramm. Sehr bald erweiterte sich unser Leistungsbild in Richtung der Strategieentwicklung für den Energiewandel, zuerst mit der Energieraumplanung für den Stadtentwicklungsplan STEP2025 und 2021 übernahmen wir die Entwicklung des Klimafahrplans. Ein weiteres aktuelles Aufgabengebiet ist „Partizipation und Klimaschutz“: 2022 startete es in drei Testbezirken, dem 5., 11. und 16.Bezirk. Zentral sind beim partizipativen Klimabudget Vorschläge der Bürger:innen, von denen die besten mit den verantwortlichen Fachabteilungen ausgearbeitet werden und dann jeweils eine Bezirks-Bürger:innen-Jury über die Umsetzung entscheidet. Die MA20 ist für die gesamte Organisation der großen „Maschine“ verantwortlich.

Das große Zukunftsthema ist allerdings der Wärmebereich, also „Raus aus Öl und Gas“. Wir arbeiten entsprechend dem Regierungsprogramm eine Strategie für die komplette Umstellung des Wärme- und Kältesektors bis 2040 aus. Die MA20 koordiniert dabei die Erarbeitung der Strategie, parallel dazu wird in der Baudirektion die Struktur für das große Umsetzungsprogramm vorbereitet.

Belazzi: Der Schwerpunkt liegt dann bei der Umstellung der Gebäudeenergieversorgung auf Erneuerbaren Energien in der Bestandstadt?

Vogl: Ja. Bisher war Focus auf den Neubau, nun geht es um den Bestandsbereich und dessen Umrüstung. Die nächsten 10 Jahre geht’s um gute Bestandslösungen. Das Projekt Geblergasse wird dabei eines der Modellgebäude sein. Es ist als Grundzeitobjekt energetisch gut saniert worden. Im Innenhof wurden Tiefensonden und eine Wärmezentrale mit Wärmepumpe gebaut. Über diese Anlage könnten noch einige Nachbargebäude mitversorgt werden, was auch geplant ist. Solche Lösungen werden im Bestand ohne Fernwärme-Versorgungsmöglichkeit zukünftig eine wichtige Option sein. Es gibt auch schon weitere Projekte, interessant in dem Zusammenhang jedenfalls auch die Innovationen der Sozialbau wie in der Miesbachgasse, wo Gasthermen über den Dachboden sukzessive durch eine zentrale Luft-Wärmepumpe ersetzt werden.

Belazzi: Ich kenne die MA20 auch als Impulsgeber von innovativen Projekten.

Vogl: Auch das ist unsere Rolle, im Rahmen des zukünftigen Programms. Wir werden uns einerseits um die Energieraumplanung im Bestand kümmern, weil es die Voraussetzung für eine zielgerichtete Umsetzung ist. Es muss einfach klar sein, wo welche Infrastruktur angeboten wird, in erster Linie Fernwärme. Für die Innovationsprojekte wollen wir eine Struktur schaffen, in der in unterschiedlichen Gebäudekategorien mit verschiedenen technologischen Innovationen an Lösungen in konkreten Umsetzungsprojekten gearbeitet wird. Das soll die Basis für weitere Maßnahmen im Förderbereich, aber auch bei den rechtlichen Rahmenbedingungen sein.

Belazzi:Was waren Meilensteine in der Veränderung?

Vogl: Am Beginn im Jahr 2011 war das Ziel, nur mehr Erneuerbare im Wohnungsneubau und im Bestand Fernwärme einzusetzen. Das war damals noch umstritten, heute hat sich das geändert. Die von uns 2013 vorgestellten Lösungen wie Anergienetze und Wärmepumpen-Lösungen sind heute bereits etabliert. Zum Beispiel für das Wiener Quartier „Viertel Zwei“, in dem aufgrund seiner gemischten Gebäudenutzung ein Anergienetz umgesetzt wurde. Der Bauträger Kallco hat das „KlimaLoop“ Konzept entwickelt und setzt es seit Jahren breit um. Andere Bauträger setzen ebenfalls bereits auf Wärmepumpe mit Tiefensonden.

Ein weiteres Thema ist die Betonkernaktivierung. Die Bauträger M2plus Immobilien und Neues Leben haben 2019, vom Ministerium und MA20 unterstützt, beim Wohnbauprojekt MGG22, benannt nach der Adresse Mühlgrundgasse 22, diese erstmals großflächig realisiert. Und dies war dann wieder Impuls für andere innovative Planungsbüros, das Konzept aufzugreifen. Heute haben wir europaweit mit Bauteilaktivierung den Lead. Die Bauträger haben schnell verstanden, dass die Überhitzung in Innenräumen im Sommer sich so kostengünstig lösen lässt. Der nächste Entwicklungsschritt war dann in den städtischen Schulbau. Erstes Projekt war in der Seestadt Aspern der Campus Nord. Da Schulgebäude eine relativ ausgegliche Wärme-Kälte-Bilanz übers Jahr aufweisen, sind derartige Konzepte besonders günstig und die Sommertauglichkeit im Schulbau wird immer wichtiger. Das erklärt auch den Schwenk von Fernwärme auf erneuerbare Wärme und Kälte.

Belazzi: Was ist das Besondere am Schulcampus Seestadt-Nord?

Vogl: Es wird mit Wärmepumpe, Tiefenbohrungen und Bauteilaktivierung beheizt und gekühlt und hat viel PV am Dach. Etwa 90-95 % der erforderlichen Energie wird vor Ort produziert. Da brauche ich keinen „Putin“ oder Energie aus anderen politisch instabilen Weltregionen . Da brauche ich nur Erde und Sonne und etwas Windstrom aus der Region für den verbleibenden Strombedarf. Die Energierechnung wird günstig sein, was den Bezirk freut. Und Lehrer:innen sind auch glücklich, weil das Gebäude nicht überhitzt und sie dadurch gut unterrichten können. Dieser ist nun eigentlich zum Modell für die Neubauprojekte der Stadt Wien geworden.

Gute Konzepte können auch einfach sein! Ganz wichtige Nachricht: So viel Energie wie möglich vor Ort gewinnen. Gerade in der Krise wie jetzt, das macht dich resilient.

Nachhaltigkeit geht immer von innen nach außen. Je näher, desto besser. Das gilt für Energie ebenso wie für Baustoffe. Wenn du den inneren Kreis optimiert hast, dann gehst du weiter. Die heutigen Versorgungskrisen zeigen, dass Regionalität auch heute schlau ist.

Belazzi: Bei Gebäuden steht der Wärme-, Kälte- und Strombedarf zumeist im Vordergrund. Der Energieaufwand für die Herstellung der Baustoffe, die sogenannten „grauen Energien“, ist viel weniger Thema. Und dies, obwohl es bei hochenergieeffizienten Gebäuden bis zu 50 % der Energiebilanz aus Errichtung und 30-jährigen Betrieb ausmachen kann.

Vogl: Die Herstellungsenergien der Baustoffe sind für uns auch ein Thema, sie sind aber schwieriger festzumachen. Holzbau etwa ist seit Jahren ein Thema. Man landet bei schwierigen Bewertungen. Ganz wichtige Themen für uns sind nutzungsoffene Strukturen, die Gebäude langlebiger machen und eine gute Rückbaubarkeit. Auch die Recyclingraten müssen erhöht werden. Man muss die Verantwortlichkeiten erhöhen, d.h. die gesetzliche Verpflichtung einführen, dass Produkte von den Herstellern nach dem Nutzungsende auch wieder zurückgenommen und recycliert werden. Sonst kommen wir nie zu einer Kreislaufwirtschaft.

Belazzi: Wenn du einen Wunsch an eine Fee hättest, der sicher in Erfüllung geht, was wäre dieser?

Vogl: Ich wünsche mir für diese Erneuerbare Lösungen im Bestand abseits der Fernwärme eine intensive technologische Entwicklung, die gut umsetzbar und für die Kund:innen leicht zugänglich ist. Ich erwarte Innovationen auf Basis von Wärmepumpen. Ich wünsche mir von der Fee, dass es sehr innovativ wird und schnell geht.

Wien, im September 2022