DI (FH) DI DI Sarah Richter

DI (FH) DI DI Sarah Richter

Durch den Green Deal ist Drive ins Nachhaltige Bauen gekommen...

Interview mit DI (FH) DI DI Sarah Richter, Geschäftsführerin der Bau-EPD GmbH, der derzeit einzigen aktiven akkreditierten Stelle für die Prüfung von Baustoff-Performance Daten auf Basis von Umweltproduktdeklarationen (EPD) in Österreich

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh.

Belazzi: Kannst du dich kurz vorstellen?

Richter: Ich bin von der Ausbildung Bauingenieurin und habe dies an drei unterschiedlichen Universitäten – Universität für Bodenkultur Wien, teilweise an der TU Wien und am FH Campus Wien – über viele Jahre mit unterschiedlichen Schwerpunkten studiert. Das gewonnene Wissen haben ich in den letzten 24 Jahren am Bau sehr breit einsetzen können: Planung, Ausschreibung, Vergabe, Bauleitung und ÖBA, einmal auch bei einer ausführenden Firma, Qualitätsmanagement, Baustellenkoordination, Arbeitssicherheit.

Belazzi: Und irgendwann kamen auch Nachhaltigkeitsaspekte dazu.

Richter: Ich bin ab 2004 recht schnell in die Nachhaltigkeit hineingedriftet, die damals Schritt für Schritt sowohl auf den Bildungseinrichtungen als auch in der Praxis auftauchte. Ich konnte dann im Architekturbüro Atelier Hayde, das auch eine Ingenieursabteilung hatte, drei sehr interessante und wertvolle Leuchtturm-Projekte umsetzen, die bis heute in der Landschaft stehen und teilweise gemonitort werden. Heute sind diese Gebäude natürlich teilweise technologisch überholt. Und das ist gut so, der Fortschritt muss passieren. Damals waren diese Projekte etwas Besonderes: Das Bürogebäude Biberstraße im 1.Bezirk in Wien als erste Generalsanierung mit klimaaktiv Gold-Auszeichnung. Das Raiffeisen Hochhaus am Donaukanal mit seinen 22 Obergeschoßen als erstes zertifiziertes Passivhaus Hochhaus weltweit und das Bürogebäude Silbermöwe im 3. Bezirk, die erste Generalsanierung, die mit der damaligen Bestbewertung ÖGNI Gold ausgezeichnet wurde. Wir mussten für alle 3 Gebäude erst Kriterienkataloge mit den jeweiligen Zertifizierungsstellen zusammenstellen und Benchmarks entwerfen.

Belazzi: Und dann erfolgte der Wechsel von der Gebäudeplanung und -errichtung zu den Umweltproduktdeklarationen, den EPDs?

Richter: Nach 10 spannenden Jahren bei Atelier Hayde erfolgt der Wechsel mit der Gründung der Bau EPD GmbH. Deren beide Eigentümerinnen, die beiden Zertifizierungsvereine ÖGNB und ÖGNI, brauchten eine Person mit einer kämpferischen und aktivistischen Ader, die - oftmals gegen den Willen von weiten Teilen der Baustoffwirtschaft und deren Vertretungen - das Thema zu etablieren begann. Die ersten acht Jahre arbeiteten wir fast ausschließlich für internationale Konzerne und deren österreichische Tochtergesellschaften und Vertriebspartner, weil diese mit ihrer internationalen Perspektive die Vorteile des „first mover“ erkannt hatten und wahrnehmen wollten. Erst in letzter Zeit kommen auch österreichische Baustoff Hersteller vermehrt dazu.

Belazzi: Der Green Deal der EU-Kommission ist auch der Treiber dieser Entwicklung?

Richter: Im Zuge des 2019 von der Europäischen Kommission vorgestellten Green Deals werden unterschiedlichste Vorgaben definiert. So verlangt u.a. die EU-Taxonomie-Verordnung Nachhaltigkeitsbewertungen auf Gebäudeebene. Dafür braucht es jedoch verlässliche, verifizierte Daten. Bauproduktehersteller sind zunehmend gefordert, sich eingehend mit dem Fußabdruck und der Ökobilanz ihrer Produkte auseinanderzusetzen. Seit 2022 geht es am Baustoffsektor durch die Ankündigung der konkreten Inhalte zur Revision der Bauproduktenverordnung rund, denn LCA Daten werden Pflicht für das CE Kennzeichen (= Marktzugang in Europa für Bauprodukte).

Belazzi: Kannst du kurz den Unterschied zwischen einem Umweltzeichen und einer EPD (eng. Environmental Product Declaration) erklären?

Richter: Im Gegensatz zu Umweltzeichen (gemäß ISO 14024) und Eigendeklarationen der Hersteller (gemäß ISO 14021) enthalten EPDs keine Bewertung, sondern nur quantifizierte Daten, die von einer unabhängigen Dritt-Stelle verifiziert wurden. Es gibt kein Benchmarking in einer EPD. Ob die Ergebnisse „gut“ oder „schlecht“ sind, geht aus dem Dokument nicht hervor. Erst auf Gebäudeebene macht ein Vergleich wirklich Sinn, wenn es um unterschiedliche Bauweisen geht. Auf Produktebene kann man natürlich bei gleicher Performance jenes Produkt mit dem geringsten CO2 Ausstoß dann auswählen.

Belazzi: Deshalb hat die EU-Kommission beschlossen, dass alle Bauprodukte eine EPD, eine Umweltkennzeichnung Typ III, benötigen?

Richter: Genau. Weil aus Brüssel nun verstärkt Druck durch den Green Deal und seine Umsetzungsschritte wie die neue Bauprodukte Verordnung, den Digital Product Passport und diverse Normen kommt, ist jetzt Bewegung in das EPD-Thema. Die Bau-EPD Gmbh ist seit 2022 eine national akkreditierte Stelle und bietet die unabhängige Verifizierung an. Sobald es die Bauproduktenverordnung und ihre „delegated acts“ bzw. neue harmonisierte Normen als Umsetzungsrichtlinien gibt, können wir auch eine notifizierte Stelle werden und man kann den Stempel für das CE-Kennzeichen bei uns bekommen.

Belazzi: Wie werden die EPDs die Bauprodukte nachhaltiger machen?

Richter: Ein direkter Weg ist, in den Kriterien für Umweltkennzeichnung Typ I, wie z.B. das Österreichische Umweltzeichen, Benchmarks einzuführen, die nur mit EPDs nachgewiesen werden können. Denn nur EPDs sind von Dritten unabhängig geprüft, was nicht für alle Ökobilanzen gilt. Bei den seit 2022 geltenden Vorgaben für das Österreichische Umweltzeichen für Wärmedämmverbundsysteme werden EPDs als Nachweise für die Kriterienerfüllung, etwa für Herstellungsparameter wie GWP, verlangt.

Belazzi: Die neue Bauprodukteverordnung ist die Grundlage für das CE-Kennzeichen. Dieses wiederum ist die Voraussetzung für den EU-Marktzugang, d.h. dass ein Produkt überhaupt in der EU verkauft werden darf.

Richter: Genau: Bisher muss für das CE-Zeichen eine Leistungserklärung, die „declaration of performance“ erfüllt werden. Zukünftig wird es zusätzlich die „declaration of conformity“ sein, und diese Nachweise werden Indikatoren für Nachhaltigkeit enthalten. Die Umsetzung für die Baustoffe beginnt stufenweise. Die Reihenfolge ist so gewählt, dass die Baustoffe mit der größten Umweltbelastung und den größten Einsatzmengen zuerst bearbeitet werden. Daher kommen derzeit als eine der ersten Baustoffproduktgruppen Betonfertigteile und Metallbauprodukte an die Reihe, was gesetzliche und normative Vorlagen angeht. In der zweiten Welle sind dann Zement und Dämmstoffe, danach etwa Holztragwerke, Ziegel und andere Baustoffe an der Reihe. Zeitlich ganz am Ende kommen dann Produktgruppen mit viel weniger ökologischem Impact wie Kabel, Wandfarben und Dichtmassen.

Belazzi: Wie wird die Kreislauffähigkeit in den EPDs abgebildet?

Richter: Es laufen mehrere Forschungsprojekte, um die Kreislauffähigkeit in Bauprodukte-EPDs abzubilden. Es fehlen derzeit teilweise die Normen dafür. Wie das abgebildet wird, ist jetzt noch völlig offen.

Belazzi: Wenn du einen Wunsch an eine Fee hast, der sicher in Erfüllung geht, was wäre dieser?

Richter: Eine ökosoziale Transformation, die gerne von der Bauwirtschaft ausgehen darf, soll passieren. Das kann meiner Meinung auch nur in Europa geschehen. Mit den derzeitigen Vorhaben und dem Engagement der EU-Kommission habe ich die leise Hoffnung, dass sich zumindest der Baustoffmarkt und damit das Bauwesen über die nächsten 10 Jahre merkbar Richtung Nachhaltigkeit transformieren wird. Man beginnt sehr zu meiner Freude auch sektorübergreifend zu denken, also über den Bau hinaus. Es ist ja auch allerhöchste Zeit dafür.

 

Wien, im Juli 2023