Franz Leutgeb und Hildegard Lerner

Am Anfang waren wir die Pausendodeln.

bauXund ist heuer 20 Jahre alt. Im Interview mit bauXund-Gründer und Geschäftsführer Thomas Belazzi erinnern sich Franz Leutgeb und Hildegard Lerner, mit 19 und 17 bauXund-Jahren, an die Anfänge, die Veränderungen…

Belazzi: Franz, du warst bei der Gründung von bauXund 2003 schon dabei und bist Ende 2022 in Pension gegangen. Und du Hilde bist 2007 zu bauXund gekommen und bist seit Ende November 2023 ebenfalls in Pension. Mit mir sitzen damit fast 60 Jahre bauXund hier am Interview-Tisch. Könnt ihr euch noch an eure Anfänge erinnern? 

Lerner: Ja, ich hatte in den letzten Monaten mehrere Flash-backs, da ich drei neue bauXund-Mitarbeiter:innen eingeschult habe. Und da habe ich öfters die fragenden Blicke, wenn etwas unklar war, in deren Augen gesehen. Denn die Umsetzung des Chemikalien- und Produktmanagements für so viele unterschiedliche Kriteriensets, die heute am Markt sind, im Spannungsfeld von Generalunternehmern, ausführenden Firmen und Produktherstellern ist echt anspruchsvoll. Neben den chemischen Produktprüfungen erfordert der Job auch viel Einfühlungsvermögen, um mit den unterschiedlichen Ansprechpartner:innen eine gute Gesprächsbasis zu haben.  

Bald nachdem ich zu bauXund gekommen bin, haben wir dann einen Professionalisierungsschritt gemacht. Davor haben drei Personen mit viel Chemiewissen bauXund wie ein Start-up aufgebaut, die Produktbewertungen eigenständig gemacht und in einer internen Datenbank alle Informationen gesammelt. Nun kam es zu einer Wissensverbreiterung durch interne Infoblätter zu den Abläufen und Bewertungen, standardisierten bauökologischen Textbausteinen für die Ausschreibung, Checklisten usw.  

Die Übersetzung der bauökologischen Vorgaben in Textbausteinen für die Leistungsbeschreibung Hochbau war auch eine echte Innovation am Markt. Diese tauchten bald auch bei Projekten auf, mit den wir nichts zu tun hatten. 

Belazzi: Ja, das war echt schräg! Große GUs und die Ausschreiber großer Architekturbüros usw. verwendet diese unabgesprochen mit uns. Manchmal riefen uns Professionisten an und wollten Produkte für eine Baustelle melden, die wir gar nicht kannten. Nur weil beim „Kopieren“ der Textbausteine vergessen wurde, die darin enthaltene bauXund Telefonnummer zu löschen. Aber wir sagten uns damals „Nur die guten Sachen werden geklaut.“ 

Leutgeb: Ich war ja schon beim Vorläufer der bauXund, der Stabstelle Ökologie im Mischek Ziviltechnikerbüro, ab 2000 dabei. Der Beginn des Chemikalienmanagements war bereits 2000, deine Masterthesis, Thomas, zu diesem Thema an der Donau-Uni Krems 2002/2003 führte zu einem weiteren Entwicklungsschub.  

Belazzi: Und der gemeinsam mit dem IBO für den Mischek Bauträger entwickelte Ökopass, der erste Wohnbau-Gebäudepass in Österreich, trug ab 2001 auch viel zur Verbreitung des Chemikalienmanagements in Österreich bei. Bald danach hatten wir schon einen Auftrag für 10 Bauvorhaben des Bauträgers ennstal Neue Heimat in der Steiermark. 

Lerner: Auf den Baustellen waren die Anfänge schwierig. Ernst genommen zu werden war schwer. Es gab oft Gegenwind und den „Scheibenwischer“, wenn man sich umdrehte. Ich wollte immer um Verständnis für die Sache bei den ausführenden Firmen werben. Auch viele Hersteller waren am Beginn alles andere als begeistert. Aber bald haben einige bemerkt, dass es sinnvoll ist mit uns zu reden. Damals haben wir begonnen unsere hohe Glaubwürdigkeit und Integrität aufzubauen. Das gilt bis heute. 

Leutgeb: Am Anfang waren wir die Pausendodeln. Ich war ständig an der Front, sowohl auf der Baustelle als auch gegenüber Herstellern. 

Belazzi: Wann hat sich die Stimmung gedreht? 

Lerner: Die Bauleitungen haben sich schrittweise verjüngt, alles hat sich auch professionalisiert. Damit verschwanden auch Kalender von Baustofffirmen mit nackten Frauen im Eingangsbereich, auch der Biergeruch und die verrauchten Baucontainer wurden seltener. Es änderte sich auch der Umgangston. 

Leutgeb: In Wien hat das ÖkoKauf Wien Beschaffungsproramm der Stadt viel geholfen die bauökologischen Standards zu etablieren. Wir haben viele dieser Kriterienkataloge für die Stadt verfasst. Und dann waren Krankenanstaltenverbund und MA34, das Immobilienmanagement der Stadt Wien, sehr gute Multiplikatoren und Veränderer am Markt. Gegen diese neuen bauökologischen Vergabekriterien der MA34 gab es sogar Klagen und Einsprüche, die aber alle abgewiesen wurden. 

Belazzi: Gebäudebewertungen wie Ökopass, klimaaktiv, ÖGNI usw. waren eine zweite wichtige Karotte. 

Leutgeb: Genau. Da ging das Thema in die Breite. Firmen haben auf die vielen Schadstoffanfragen und manche Produktablehnung reagiert und oft kurzfristig die eine oder andere Rezeptur umgestellt. Und wir haben es gesehen. Wenn der erste umstellt, dann kippt oft der Markt. Egal, ob dies gesundheitsschädliche Phthalate als Weichmacher in Dichtmassen, XPS-Platten ohne klimaschädliche Treibmittel, PVC-freie Kanalrohre, emissionsarme Wandfarben, lösemittelfreie Kontaktkleber oder Parkettfugenmassen waren. 

Belazzi: Für die bauökologischen Umstellungen waren aber auch die Professionisten ganz wichtig. 

Lerner: Ja. Und ich hatte auch immer viel Verständnis für die Professionisten. Wenn man etwas Neues etabliert, ist es schwieriger als bisher und man will es nicht. Der Maler etwa hat 30 Jahre denselben Lack verwendet und war zufrieden. Plötzlich kommt bauXund und sagt ihm, dass er einen anderen verwenden soll. Wir waren für ihn der Sand in seinem Getriebe. Natürlich haben wir bauökologisch ausgeschrieben, das heißt vergaberechtlich war alles klar, aber der Professionist hatte trotzdem noch das Thema mit Gewährleistung. 

Produkte, die wir freigeben, sind tendenziell gesünder. Auch das hat bei manchen Firmen geholfen. Weniger Lösemittel in der Luft und damit weniger Kopfweh am Abend, weniger Hautausschläge, auch das sprach für unsere Themen. 

Belazzi: Hat das Lernen und Verändern aufgehört? 

Lerner: Wir lernen bis heute dazu und haben in den letzten Jahren neue Themen positioniert. Schalöle und Verdunstungsschutz mit natürlichen statt fossilen Rohstoffen, Mineralwolle mit Schadstofffrei-Prüfzeichen, PVC-freie Abstandhalter für Ortbetonarbeiten. Wir sind immer neugierig geblieben. Manches Thema wurden uns zugetragen, auf andere stießen wir selbst. 

Belazzi: Weshalb ist Schadstofferkundung erst so spät am Markt aufgetaucht? 

Leutgeb: 2016 trat die Recycling Baustoff Verordnung als gesetzliche Grundlage in Kraft. Davor wurde das Thema des Rückbaus von Schadstoffen weitgehend ignoriert. Vereinzelt war Asbest ein Thema, aber alle anderen Schadstoffe wie Teer/PAK, PCB, Biozide, FCKW, Mineralwolle, Schwermetalle hatte niemand wirklich am Radar. Ziel der Verordnung war Kreislaufwirtschaft, gar nicht primär die Schadstoffe. Gesundheitsschutz war nicht der Motivator, sondern Schadstofffreiheit für Recycling. Erst damit wurde klar, wie viele Schadstoffe in alten Gebäuden, versteckt in Fliesenkleber, Bodenbelägen, Dachabdichtungen, Dämmstoffen, Rohren usw. verbaut sind. 

Belazzi: Die Schadstofferkundung von Bestandsgebäuden, die sich heute auch im Rahmen von Gebäude Due Diligence Abläufen etabliert hat, hat bauXund auch motiviert, sich mit Schimmel und störenden Gerüchen in bestehenden Gebäuden zu befassen und hier Expertise aufzubauen. So wurde, mit anderen engagierten Marktteilnehmer:innen, der Bundesverband für Schimmelsanierung (BVS) gegründet, um Expertise, Qualitätsstandards und eine Ausbildungsschiene am Markt zu etablieren. Heute setzt der BVS die Benchmarks in Österreich, was sich sehr positiv am Markt auswirkt. 

Lerner: Bereits in den Anfangsjahren der bauXund organisierte wir auch viele Veranstaltungen, auch zweitägige Symposien mit Partnern wie dem IBO, um das Thema Nachhaltig Bauen und das dafür erforderliche Wissen breit im Markt zu verankern. 

Belazzi: Ja, bauXund hat hier früh einen Bildungsauftrag gesehen. Das heißt, wir müssen die Leute dort abholen, wo sie wissensmäßig sind. Sonst wird nachhaltiges Bauen nicht in die Breite kommen. Heute konzentriert wir uns auf Schulungen, Workshops, Startgespräche bei Baustellenbeginn oder Vorträge. Und auch immer wieder in Masterlehrgängen das Praxiswissen und den fachlichen Hintergrund zu vermitteln. Denn „Wissen ist Macht“ und die Blödelei „Nicht-Wissen macht auch nichts“ ist ganz falsch. 

 

Wien, im Dezember 2023