DI in Inge Schrattenecker.

© Renate Schrattenecker-Fischer

„Nicht alle sind glücklich.“

Interview mit DIin Inge Schrattenecker. Sie leitet seit 2011 das Programm klimaaktiv Bauen und Sanieren. Sie arbeitet seit 2003 bei der ÖGUT (Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik) und ist dort seit 2015 Stellvertretende Generalsekretärin. Sie studierte Raumplanung an der TU Wien..

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh

Belazzi: Seit wann gibt es das klimaaktiv Programm?

Schrattenecker: Dieses wurde 2005 als „klima:aktiv haus“ zur Einführung von Nachhaltigkeitskriterien auf dem österreichischen Wohnungsmarkt gestartet. Der klimaaktiv Gebäudestandard ist ein österreichweites, von der Republik Österreich durch das Klimaschutzministerium getragenes Qualitätszeichen für eine nachhaltige und klimaschonende Bauweise. Es wurde in den letzten Jahren massiv ausgebaut und ist heute für Wohnbauten und Dienstleistungsgebäude jeweils für Neubau und für Gebäudesanierung verfügbar. Die ÖGUT ist Teil des Leitungsgremiums des Programms, welches für die inhaltliche und strategische Ausrichtung und Qualitätssicherung verantwortlich ist.

Belazzi: Gebäudebewertungen gibt es viele. Was ist das Alleinstellungsmerkmal von klimaaktiv?

Schrattenecker: Der Focus war und ist die Energieeffizienz. Das zentrale klimaaktiv Ziel ist, den Energiebedarf von Gebäuden massiv zu reduzieren und den verbleibenden Bedarf mit erneuerbaren Energien zu decken.

Ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal von klimaaktiv ist, dass das Einstiegsniveau immer fixiert ist. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal sind die Basiskriterien, die als Muss-Kriterien definiert sind, die alle erfüllt werden müssen. Das ist damit kein „Entweder-Oder“ Thema wie bei den anderen Gebäudebewertungen, bei denen man durch andere Maßnahmen wie begrünte Fassaden, gute Bauprozesse, mehr Bauökologie etc. eine schlechtere Energieperformance kompensieren kann.

Belazzi: Was sind neben dem Verbot fossiler Energieträger weitere Muss-Kriterien?

Schrattenecker: klimaaktiv hat vier Bewertungsgruppen und in jeder Gruppe gibt es Muss-Kriterien, vom Standort über die Mobilität bis zur Bauökologie. Und natürlich zentral bei Energie gibt es drei Muss-Kriterien für Heizwärmebedarf, Primärenergiebedarf und CO2-Emissionen auf Basis der neuen OIB-Richtlinie 6.

Belazzi: klimaaktiv hat sich seit 15 Jahren schrittweise weiterentwickelt. Im Oktober 2020 gab es einen großen Relaunch. Was sind die wesentlichen Neuerungen?

Schrattenecker: Wir haben zum einen den Kriterienkatalog um einige Themen wie Begrünung, kreislauffähige Baustoffe, Energieflexibilität und Tageslicht erweitert, zum anderen bestehende verschärft, etwa den Ausschluss von Gas und Öl als Energieträger. Dies ist wichtig, um das Ziel 2040 klimaneutral zu sein, umzusetzen. Das ist ein zentraler Punkt in der österreichischen Klimastrategie und ist auch im Koalitionsabkommen der Bundesregierung verankert. Das Ziel ist ambitioniert, aber im Gebäudebereich mit Anstrengungen schaffbar.

Belazzi: Da gab es sicher Widerstände zu überwinden, etwa das Verbot von Gas als Energieträger wird nicht auf einhellige Zustimmung gestoßen sein.

Schrattenecker: Nicht alle sind glücklich mit dem Bewertungssystem, von uneingeschränkter Zustimmung muss man sich verabschieden. Wenn alle sagen „total super“, dann ist es nicht gut. Man muss für die gewünschten Veränderungen, Stichwort Klimaneutralität 2040, auch mit Gewohntem brechen, Stichwort: Verbot von Gas und Öl.

Belazzi: Es gibt derzeit bereits fast 1.000 klimaaktiv Projekte mit ca. 2,7 Mio. m2 BGF. Das sind viel mehr Objekte, als alle anderen Gebäudebewertungen am österreichischen Markt gemeinsam haben. Wie ist das möglich?

Schrattenecker: Unsere Strategie ist, zu überzeugen und auch durch Kooperationen mit Fördersystemen eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen. klimaaktiv Kriterien sind u.a. in drei Landeswohnbauförderungen, in der Mustersanierungsförderung für Gemeinde- und Betriebsgebäude und im Österreichischen Umweltzeichen Nr.49 „Nachhaltige Finanzprodukte“ verankert.

Belazzi: Es gibt viel Geld am Immo-Markt. Was sind die Effekte durch das Umweltzeichen „Nachhaltige Finanzprodukte“?

Schrattenecker: Dieses Umweltzeichen hat unter anderem klimaaktiv Bronze als Muss-Kriterium. Dadurch meldeten sich erstmals ganz neue Immofonds und Bauträger, die dann mit klimaaktiv arbeiten. Diese Nachfragen nahmen in den letzten Jahren stetig zu und haben auch 2020 deutlich merkbar weiter zugenommen. Dies sind hauptsächlich großvolumige Wohnprojekte, das heißt, diese Bauträger müssen sich mit für sie neuen Themen auseinandersetzen. Das ist wichtig für den Klimaschutz, der Breite benötigt. Wir müssen aus der 10 % Ecke raus. Wir müssen die großen Immobilienbestände wie auch die großen Neubauprojekte erreichen.

Belazzi: Wenn du einen Wunsch an die Fee hast, was wäre dieser?

Schrattenecker: klimaaktiv ist ein freiwilliges System und das ist gut. Wir benötigen aber für die Zielerreichung des „2040 Klimaneutral“-Ziels gesetzliche Rahmenbedingungen. Nur durch diese wird die große Masse erfasst werden, das ist dringend notwendig. Jedes Haus, das 2020 errichtet wird und nicht klimafreundlich ist, steht 20-30 Jahre ohne eine Veränderung herum und emittiert zu viel CO2. Auch „Lari-Fari“-Sanierungen passieren noch immer viel zu oft, etwa weil die Wohnungseigentümergemeinschaft sich nicht auf 100 % Zustimmung einigte. Damit geht so viel verloren! Viel Mühe, viel Geld, viel Gebäudewerthaltigkeit, viel Klimaschutz!

Wien, November 2020