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„Gesundheit. Etwas Wichtigeres gibt´s nicht!“
Interview mit Assoc. Prof. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter, Stv. Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien
Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh
Belazzi: Der Mensch ist in den letzten Jahrtausenden vom Außenraum-Lebewesen zum Innenraum-Lebewesen mutiert. Was bedeutet das für ihn gesundheitlich?
Hutter: Innenräume bieten Schutz vor Witterung wie Kälte und Frost und bieten generell Sicherheit. Sie ermöglichen den Rückzug in einen geschützten Bereich. Insgesamt große Vorteile für den Erhalt unserer Gesundheit.
Aber Innenräume können auch Risikopotenziale bergen. Ein plakatives Beispiel ist das Kochen. Lange Zeit erfolgte dies ja auch bei uns mit Holz oder anderer Biomasse ohne eigenen Abzug ins Freie, die Rauchkuchl. Das führte, besonders bei Frauen und Kindern, die sich dort am längsten aufhalten, zu massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Holzrauch. Und in vielen Ländern ist dies heute noch der Fall.
In Österreich und anderen Industrienationen beschäftigen wir uns heute zwar mit anderen Raumluftverunreinigungen wie etwa Weichmachern, Bioziden, Flammschutzmitteln oder Duftstoffen. Feinstaub in Innenräumen ist allerdings noch immer ein Thema.
Belazzi: Heute wird von vielen fälschlicherweise angenommen, dass die gefährlichen Schadstoffe wie Asbest alle bereits verboten sind. Daher folgern viele auch, dass die heutigen Bauprodukte eh alle „ganz ok“ sind, man daher nicht unbedingt bei Neubau/Sanierung das Thema beachten muss.
Hutter: Es hat in den letzten 20 bis 30 Jahren sicher eine positive Entwicklung gegeben. Die Formaldehyd-Diskussion war hier ein Anstoß sich generell mit flüchtigen Verbindungen in Bauprodukten zu beschäftigen.
Es ist aber auch definitiv nicht so, dass heute alle schädlichen Substanzen verboten sind und nichts mehr zu tun ist, also keine Innenraum relevanten Probleme mehr bestehen. Ein Beispiel von vielen: Flammschutzmittel. Da gibt es ein Konvolut an unterschiedlichen Substanzen – z.B. polybromierte Diphenylether, entwickelt nach technischen Eigenschaften. Die gesundheitlichen Risiken dieser Stoffe, speziell was deren Langzeiteffekte betrifft, sind häufig völlig unklar. Hier gibt es beträchtliche Wissenslücken. Der Vorteil der heutigen Situation ist allerdings, dass wir theoretisch das methodische Handwerkszeug haben, solche Stoffe hinsichtlich ihrer human- und ökotoxikologischen Auswirkungen zu untersuchen. Nur hinken wir in den meisten Fällen der industriellen Entwicklung hinterher.
Belazzi: Was sind die gesundheitlich bedeutsamsten Faktoren für einen Mitteleuropäer bzgl. Innenraumqualität? Zuallererst das Rauchen - und dann?
Hutter: Als erstes fällt mir dazu Radon ein. Ein häufig stark unterschätztes Gesundheitsthema, immerhin nach Rauchen die zweitwichtigste Ursache von Lungenkrebs. In Österreich können rund 16% aller Todesfälle an Lungenkrebs auf die Radon-Exposition zurückgeführt werden.
Andererseits gibt es aber etliche Möglichkeiten, die Exposition deutlich zu abzusenken: Im Bestand kann man auf Basis einer Raumluftmessung entscheiden, ob Maßnahmen, etwa eine mechanische Lüftung, erforderlich sind. Bei Neubauten kann man in der Radonpotenzialkarte nachschauen, ob es sich um ein Risikogebieten handelt und bei Bedarf bauliche Vorsorgemaßnahmen setzen.
Belazzi: Wichtige Schadstoffquellen im Innenraum sind Baustoffe und Innenausstattung und dann auch die durch den Menschen als Nutzer eingetragenen. Was ist dazu aus medizinischer Sicht zu sagen?
Hutter: Neben den Bauchemikalien für Farben, Kleber, Lacke und den Baustoffen wie Bodenbelägen schleppen wir uns vielfach noch über Möblierung, Gelsenstecker, Duftlampen, Räucherstäbchen und dergleichen vielfach unbekannte, aber sicher nicht unbedenkliche Stoffe in den Innenraum. Diese können einerseits akut Reizerscheinungen auslösen und allergene Wirkungen haben, andererseits Schadstoffe sein, die sich im Hausstaub anreichern und damit besonders am Boden spielende Kinder gefährden.
Belazzi: Es wird vielfach geklagt, dass Schadstoffrückbau (Asbest, PCB, PAK etc.) vor Abbruch von Bestandsgebäuden das Bauen verteuert. Ist es sinnvoll hier zu „vereinfachen“ um Kosten zu sparen?
Hutter: Baustoffe sind stoffgerecht zu entsorgen. Es ist sehr wichtig, diese genau unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich dabei um viele unterschiedliche Stoffe, die Gesundheit und/oder Umwelt gefährden können. Alte Gebäude „enthalten“ vielfach Schadstoffe und müssen, analog zu Altlasten, erfasst und bearbeitet werden. Es gibt auch eine ganze Kette potenziell gefährdeter Personen, vom Arbeitenden auf der Abbruch- oder Rückbau-Baustelle, den späteren NutzerInnen, den AnrainerInnen bis zu den Exponierten der Zukunft, wenn nicht erkannte Schadstoffe recycelt oder falsch entsorgt werden.
Belazzi: Sie haben einen Wunsch von einer Fee bekommen, den Sie heute aufbrauchen müssen? Welcher wäre das?
Hutter: Das ist einfach: Gesundheit. Wichtigeres gibt’s nicht.
Wenn die Fee noch einen zweiten Wunsch übrig hat – na dann sollte sie mir helfen eine Megawelle in Nazarè, Portugal nicht nur zu surfen, sondern auch aus den gigantischen Wassermassen in einem Stück wieder herauszukommen.
Wien, Februar 2019