© Armin Fuchs
„Gesundheit der Menschen ist kein Kostentreiber“
Interview mit Dipl.-Ing. Bernhard Scharf, Senior Scientist am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der BOKU und gleichzeitig Technischer Direktor der Start-ups Green4Cities GmbH und Greenpass GmbH.
Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh
Belazzi: Wie bist du zu deinem heutigen Arbeitsgebiet gekommen?
Scharf: Aus den Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre und auch dem detaillierten Wissen, was mit dem Klimawandel auf uns alle zukommt.
Was machen viele Menschen in Städten, wenn sie die freie Wahl haben? Am Wochenende raus, am Sonntag Abend wieder rein in die Stadt. Das ist ja absurd. Was heißt das im Endeffekt über die Qualität unserer Städte? Instinktiv wissen wir, dass wir die Natur, den Grünraum usw. brauchen. Wenn nun vier von fünf Menschen in der Stadt wohnen, aber wir nicht drinnen leben wollen, dann müssen wir uns als Planende, PolitikerInnen etc. fragen, was wir eigentlich tun.
Eine vor kurzem publizierte Studie der ETH Zürich (Bastian et al.) hat errechnet, dass es in Wien im Jahr 2050 bis zu 47°C im Schatten haben wird. Wenn man wissen will, wieviel das ist, fährt man am besten ins Death Valley in den USA und schaut sich das an… Dieses Klimawandelwissen macht mir Stress und treibt mich gleichzeitig auch an.
Belazzi: Du hast an der BOKU studiert…
Scharf: Ja. Ich bin in Salzburg aufgewachsen und zum Studieren nach Wien gekommen. Ich interessierte ich damals für Vieles, von Computer bis Umwelt. Nach einem Jahr Studium der Computerwissenschaften wechselte ich auf die BOKU und inskribierte Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur. Aus meiner Sicht ermöglichte diese Wahl, drei Dinge zu verbinden: Kreativität, Planung und Umwelt, um so die Natur in die Stadt zu bringen. Das war mir bereits damals ein Anliegen. Im 2. Studienabschnitt wählte ich Vegetationstechnik, „nature based solution“ oder „Grüne Infrastrukturen“ würde man heute dazu sagen. Bei Prof. Florineth verfasste ich meine Diplomarbeit zu Blumenrasen, die ökologische Alternative zum Strapazierrasen. Dieses Thema war ganz im meinem Sinn. So konnte man gleichzeitig das Angebot für bestäubende Insekten erhöhen und da der Blumenrasern langsamer wächst und damit weniger Pflege benötigt, eine ökologisch-ökonomische win-win-Situation herstellen.
Belazzi: Und wie ging´s weiter?
Scharf: Ich ging dann für vier Jahre als Abfallberater zur Stadt Wien, machte die Ausbildung zum Abfallbeauftragter und beschäftigte mich mit Müllvermeidung und -verwertung, ganz im Sinne der „circular economy“. 2005 bekam ich von Prof. Florineth eine Einladung, wieder auf die BOKU zu kommen. Ich sollte einen Antrag für ein EU-Projekt zu Schotterrasen schreiben – mit 11 Partnern aus Deutschland und Österreich sowie dem Baustoff Recycling Verband (BRV). Der Antrag war erfolgreich und wir entwickelten zwei Jahre eine, so glaube ich, sehr schöne Lösung, wieder als ökonomisch-ökologisches Optimum mit Abbruchmaterial (RecyclingMasseHochbau), eine Trägerschicht mit Gräsern & Kräutern. Das entwickelte Produkt hat aber leider nie richtig am Markt Fuß gefasst, wir scheiterten am mangelnden Marketing, hatten zu wenig Vertriebserfahrung. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis und prägend für spätere Projekte. Es folgten weitere Forschungsprojekte, die mich Puzzlestein für Puzzlestein dorthin führten, wo ich heute bin.
Belazzi: Was sind die wesentlichen Bausteine einer Freiraumgestaltung?
Scharf: Klimawandelanpassung heißt im Wesentlichen richtig bauen und Wasser. Der Schlüssel ist das Wasser, weil es hilft, die Energie rauszubringen. Und Pflanzen sind das beste Gefäß für Wasser. Pro m2 Baumkrone bekommt man drei bis vier m2 Blattfläche. Pflanzen sind die perfekten Wasserbehälter, sie verdrecken nicht, niemand ertrinkt darin, sie machen Schatten. Stehende Wasserflächen sind einerseits nicht klimawirksam – die Alte Donau hat im Hochsommer in der Nacht dieselben Temperaturen wie die bebauten Flächen daneben, etwa 24-25°. Wasser ist 2D, Baum ist 3D, der Baum ist durchlüftet, er nimmt Wasser auf und gibt es wieder ab.
Belazzi: Was sind Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Umsetzung von mehr grünen Infrastrukturen?
Scharf: Das ist die Planbarkeit. Der Berater muss Antworten auf Fragen wie „Was kostet es?“ und „Was kann es?“ fundiert geben können. Denn das Architekturbüro muss diese einplanen können und der Investor dafür mehr Geld ausgeben. Es gilt die Diskrepanz der unterschiedlichen Sprachen von MeteorologInnen, ArchitektInnen, InvestorInnen etc. aufzuheben.
Belazzi: Heute seid ihr mit zwei Namen / Firmen am Markt präsent? Green4Cities und Greenpass. Wodurch unterscheiden sich diese beiden?
Scharf: Die beiden Firmen haben klar abgrenzte Aufgabengebiete: Green4Cities ist ein Kompetenzzentrum für Grüne Infrastrukturen, betreibt Forschung und bietet zusätzlich Engineering und Design für Landschaftsarchitektur an. Das Geschäftsmodell der Greenpass GmbH ist die Beratung der operativen Umsetzung. Die soll das entwickelte Know-how als Consultingleistung ausrollen und das funktioniert bis dato gut. Und wir wollen dies auch außerhalb Österreichs machen, daher haben wir derzeit bereits Partner in acht europäischen Ländern und 15 Lizenzpartner, etwa in Holland, Belgien, Großbritannien, Deutschland, Italien, Tschechische Republik etc.
Belazzi: Was genau macht Greenpass?
Scharf: Greenpass ist der Link zwischen Planungswelt und Simulationswelt, damit können die Planenden klimasensitiv arbeiten. Wir extrahieren aus den Simulationen der Planungsdaten „key performance scores“ and „key performance indicators“, an denen man Projekte messen und im Falle eines Wettbewerbs auch zueinander vergleichen kann. Wir bewerten Projekte, Quartiere, Regionen etc. in sechs Themenfeldern: Klima, Wasser, Luft, Biodiversität, Energie und Kosten. Wir haben mit unserer Software die Rahmenbedingungen geschaffen, rasch fundierte Antworten geben zu können. Etwa gibt es den „Thermal Comfort Score“: Umso höher dieser ist, umso besser ist das Projekt, das macht das System leicht verständlich. Auch gibt es Kostenindikatoren, um bestmögliche Leistung für definiertes Budget zu erreichen. Alle Beteiligten sollen sich sicher sein, dass man die richtigen Rädchen dreht.
Mir ist wichtig, dass das Fundament der Entscheidung mehr ist als „Pflanzen sind grün und lieb und wirken sich positiv aus“. Es bedarf einer faktenbasierenden Planung, z.B.: stehen die Bäume am richtigen Platz? Sind es die richtigen Bäume? Wie stark ist die Windgeschwindigkeit und was bedeutet dies? Baumschatten ist bester Schatten, wir brauchen Luftaustausch in der Nacht, wir müssen die Windverhältnis ausnutzen, um energetische Austauschprozesse anzustoßen. Schlussendlich müssen wir für klimaresiliente Städte und Regionen die Baukultur verändern, Greenpass will das in die Breite bringen.
Belazzi: Wo ist der Greenpass schon zum Einsatz gekommen und wie hat er Projekte verbessert?
Scharf: Dieser wird international wie national laufend eingesetzt. Österreichische Anwendungsbeispiele sind das Seeterrassen-Quartier in der Seestadt Aspern, wo die Planung durch Optimierung der Baukörperorientierung und des Grünraums gemeinsam mit dem Architekten, den Landschaftsplanern und dem Auftraggeber ein deutlich besseres Ergebnis erzielte. Ein anderes Beispiel ist der neue IKEA am Westbahnhof in Wien. Dort werden 160 Bäume gepflanzt und eine Vertikalbegrünung an West- und Nordfassade ist geplant. Der Effekt: Die Lufttemperatur wird sich gegenüber heute um 2° C reduzieren, durch die Bäume, den vertikalen Park und den Gebäudeschatten selbst. Bei einem anderen Projekt in Wien, das MA 31 Bürogebäude in der Grabnergasse, das wir an der BOKU gemeinsam mit der TU-Wien erforschen, konnten wir zeigen, dass durch intensive Fassadenbegrünung die Raumtemperatur im Gebäude bereits drei Jahre nach der Errichtung/Pflanzung um 3°C gesenkt werden konnte. Noch ein Beispiel ist die Biotope City in Wien-Favoriten. Dieses Quartier mit ca. 1000 Wohneinheiten ist derzeit in baulicher Fertigstellung. Unsere Simulation mit Greenpass zeigt, dass die Luft sechs Minuten im Quartier verbleibt und dabei durch die vielfältigen grünen Maßnahmen um ca. 2° C abgekühlt wird. Wir brauchen ganz viele solche die Stadt kühlenden Gebäude und Quartiere für eine klimaresiliente Stadt.
Belazzi: Wenn du einen Wunsch an die Fee hast, was wäre dieser?
Scharf: Lebenswerte Städte. Endlich!
Wien, Dezember 2019