Em.O. Univ.Prof. Dr.phil. Helga Kromp-Kolb

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„Es warten ungezählte Viren auf den Menschen los zu gehen…“

Interview mit Em.O. Univ.Prof. Dr.phil. Helga Kromp-Kolb, ehemalige Leiterin des Instituts für Meteorologie und Klimatologie und des Zentrums für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit, beide an der Universität für Bodenkultur in Wien.

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh

Belazzi: Was haben Sie persönlich aus der Corona Krise gelernt?

Kromp-Kolb: Ich habe gelernt, dass die Bevölkerung, aber auch Politiker, in ihren Handlungen zu unheimlich dramatischen Veränderungen zum bisherigen Verhalten in der Lage sind, wenn sie dies für notwendig halten. Politiker haben Entscheidungen getroffen, die drei Tage vorher nicht denkbar waren und die Menschen haben Sachen akzeptiert, die auch nicht denkbar waren. Zum Beispiel, dass sie zu Hause bleiben müssen. Der Mensch ist offensichtlich sehr, sehr flexibel - was Hoffnung gibt.

Belazzi: Wodurch unterscheidet sich die Klima- von der Corona-Krise? Was haben sie gemeinsam?

Kromp-Kolb: Die Dimensionen von Klima- und Corona-Krise sind völlig andere. Die Corona-Krise wird vorbeigehen, unabhängig, ob wir etwas tun oder nicht. Das Ausmaß der Corona-Krise wäre jeweils ein anderes, aber sie geht vorbei. Bei der Klimakrise ist dies nicht der Fall. Bei dieser verstricken wir uns, wenn wir nichts tun, nur immer tiefer in die Krise, das heißt, es wird immer schlimmer. Die Corona-Krise dagegen wird ab einem bestimmten Zeitpunkt nur besser. Und: Das Ausmaß der Klimakrise ist unvergleichlich größer als jenes der Corona-Krise.

Belazzi: Was kann uns die Corona-Krise für die Bewältigung der Klimakrise lehren?

Kromp-Kolb: Was ein Unterschied für die unterschiedliche Reaktion auf beiden Krisen ist: Bei der Corona-Krise hatte offensichtlich jeder das Gefühl, es könnte mich treffen, und zwar vielleicht schon heute. Bei der Klimakrise ist jeder der Meinung, dass es auf jeden Fall jemanden anderen trifft und dann vielleicht irgendwann.

Bei den Maßnahmen zu Corona nimmt jeder an, dass sie zeitlich befristet sind. Irgendwann hat das Ganze ein Ende. Bei der Klimakrise braucht es eine lebenslange Transformation. Da müssen wir uns für immer ändern. Allerdings ist es ein Wandel, der mehr Lebensqualität bringen kann. In Corona-Zeiten haben die Wenigsten mehr Lebensqualität, im Großen und Ganzen war es für die meisten mit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit usw. keine wirklich erfreuliche Zeit.

Belazzi: Zum Klimawandel tragen wir alle durch unsere Lebensweise bei. Das wissen wir. Die ÖsterreicherInnen fühlen sich jedoch unschuldig an Corona-Krise. Stimmt das wirklich?

Kromp-Kolb: Wir nehmen den Wildtieren weltweit, aber auch in Österreich, immer mehr Lebensraum. Wir stressen sie dadurch, daher nimmt der Krankheitsbefall zu, auch durch den Klimawandel. Und: Wir erhöhen durch den kleiner werdenden natürlichen Lebensraum die Berührungsflächen zwischen Menschen und Wildtieren. Daher nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass Krankheiten von freilebenden Tieren auf den Menschen übergreifen. Wir werden nach der jetzigen Corona-Krise auch weitere solche Entwicklung erleben. Die nächsten Viren werden halt ein bisschen anders aussehen. Es warten ungezählte Viren darauf, dass sie auf den Menschen losgehen können. Das hat schon mit Klimawandel und der weltweiten Übernutzung von Ressourcen zu tun. Und da sind wir Österreicher voll dabei.

Belazzi: Viele sehnen die Corona-Impfung herbei, damit es dann wieder so weitergeht wie früher. Diese Sehnsucht klingt gefährlich für das Paris-Ziel und den Klimaschutz. Wie kann man hier lenkend eingreifen?

Kromp-Kolb: Ich halte diese Hoffnung auf eine Impfung für völlig verrückt. Es ist nicht sicher, ob der Covid19-Virus nächstes Jahr noch so aussieht wie heute, der mutiert ja ständig. Und dann ist die Impfung wirkungslos oder bietet zumindest weniger Schutz. Und beim nächsten Virus, das ein anderes ist, stehen wir wieder vor demselben Problem. Und die Vorstellung, dass dann alle Menschen weltweit gegen Covid19 geimpft werden, ist auch verrückt. Dann müsste man gegen viele andere, oft gefährlichere Krankheiten, auch impfen und wir tun es heute nicht.

Das „Leben retten, koste, was es wolle“ ist einfach nicht ehrlich. Mit dem, was jetzt in Österreich, der EU und weltweit zur Behebung der negativen Wirkungen der Corona-Maßnahmen investiert wird, hätte man locker den Klimawandel eindämmen und wichtige Schritte zur Dekarbonisierung bewerkstelligen können. So hätten viel mehr Menschleben gerettet werden können als um die Corona-Krise hinter sich zu lassen. Es gibt so viele Eingriffe des Menschen pro Jahr, die viel mehr Tote pro Jahr verursachen als Corona, etwa Luftverschmutzung, Unfälle im Autoverkehr, usw. Da sind wir in anderen Größenordnungen. Natürlich ist Corona eine ernstzunehmende Krankheit, keine Frage. Aber der jetzt getriebene Aufwand ist für mich nicht nachvollziehbar.

Belazzi: Die Corona Krise, die Lockdowns, zeigt uns, dass mehr Genügsamkeit, Suffizienz, möglich ist. Weniger Reisen, stattdessen Homeoffice und Videokonferenzen, Autostraßen wurden Begegnungszonen, kein Wochenend-Ausflug nach London stattdessen eine Wanderung im nahen Umfeld. Widerspricht diese Suffizienz unserem Wirtschaftsprinzip des stetigen Wachstums?

Kromp-Kolb: Ja, natürlich. Aber das „typische Wirtschaftsprinzip“ von ´viel Umsatz´, kurzlebigen Produkten usw. ist mit Klimaschutz nicht kompatibel. Genauso Profitmaximierung um jeden Preis, die Maximierung der Effizienz. Wir verlieren an Widerstandsfähigkeit, an Resilienz. Ein leeres Krankenhausbett ist nicht effizient, war aber am Höhepunkt der Corona-Krise sehr wichtig. Einsparungen bei der öffentlichen Hand wie im Gesundheits-, Bildungs- und Mobilitätssystem schaden der Resilienz und gefährden die Gesellschaft in Krisenzeiten.

Wenn jeder einzelne Teil im Wirtschaftsgefüge effizient sein soll, dann verlieren die Kleinen gegen die Großen, die effizienter sind, und die Gesellschaft die regionale, oft auch die nationale Erzeugung. Damit geht die Resilienz verloren. Das ist ein Corona-Learning. Jetzt hat es hoffentlich jeder verstanden.

Belazzi: In der Corona-Krise wurde uns prophezeit, dass jeder bald Corona-Tote kennen wird. Diese Angstmache scheint Wirkung gezeigt zu haben. Die seit Jahren sichtbaren Veränderungen durch die Klimakrise, die seriös von der WHO prognostizierten Klimatoten (ab 2030 jährlich mind. 250.000 Klimatote) haben bis jetzt nichts bewirkt… Warum dieser Unterschied?

Kromp-Kolb: Bei Corona sagt die Regierung ihre Position im Klartext und die Medien verstärken dies tausendfach. Bei Klimawandel wird der alarmierende Artikel zum Klimawandel zwischen Inseraten von Billigflügen nach London veröffentlicht. Beim Klimawandel kam bis dato von den Regierenden und den Medien nicht die klare Botschaft „Achtung Problem“, das ist der Unterschied zu Corona.

Dabei ist der Klimawandel längst in Österreich angekommen. Die Bauern klagen über Trockenheit auf den Feldern und im Wald frisst der Borkenkäfer die Sparkasse der Waldbesitzer leer. Es fehlt aber die politische und mediale Verstärkung. Etwa: Klimaschutz = Bauernschutz = landwirtschaftliche Grundversorgung sichern = regionale Lebensmittel = österreichische Lebensmittelproduktion = Krisensicherheit. Die Regierung unterstützt z.B. die Gastronomie wegen der Corona-Krise- das ist gut. Es wäre aber hier wichtig, sicherzustellen, dass dann künftig auf der Speisekarte ein bestimmter Prozentsatz an lokalen/regionalen/biologischen/fleischarmen Angeboten steht. Damit würde Coronahilfe mit Klimaschutz verbunden. Das sehe ich derzeit nicht. Man muss viele Kombimöglichkeiten nutzen.

Belazzi: „Wir müssen uns aus der Corona Krise mit einem Konjunkturprogramm hinausinvestieren,“ heißt es vielfach. Jedoch: Wirtschaftsmodelle von vorgestern dürfen nicht als Corona Maßnahmen von heute subventioniert werden. Was sollte daher gemacht werden? Was heißt das insbesondere für die Bauwirtschaft?

Kromp-Kolb: Es gibt meines Wissens dafür viele Vorschläge, aber keine Zusammenschau. Etwa Kurzstreckenflüge streichen, durch Bahn und Bus ersetzen. Wozu Geld in etwas stecken, wenn wir dies aus Klimaschutzgründen ohnehin beenden müssen. Wichtig ist auch der Focus auf die Raumordnung, die täglichen Wege kurz machen. Wohn-, Büro-, Schul- und Freizeit-Nutzungen im Quartier durchmischen.

Zur Bauwirtschaft: Wie viele neue Gebäude brauche ich? Wir haben heute viel zu viel Wohnfläche pro Kopf verfügbar. Wir müssen Anreize setzen, dass größere Flächen von mehr Leuten geteilt werden. Mit WGs, kleineren Wohneinheiten, Shared living, usw. Was kann man davon im Bestand und was nur im Neubau machen? Das sind Richtungen, in die man denken muss.

Intelligenz ist nicht nur bei Baumaterialien, Energiesystemen, Orientierung, Architektur gefragt, sondern auch: Wie können mehr Menschen auf weniger Platz trotzdem ihren eigenen Bereich haben und ein gutes Leben führen?

Die Energieeffizienz ist in Österreich weitgehend akzeptiert. Da hat sich viel getan und das ist gut so. Sie muss jedoch noch, etwa bei der Gebäudesanierung, viel schneller umgesetzt werden. Und wir müssen rasch unabhängig von fossilen Energieträgern werden, insbesondere bei Gebäuden und in der Mobilität!

Wien, Mai 2020