Thomas Brudermann

© Uni Graz/Tzivanopoulos

Die Kunst der Ausrede

Interview mit Assoz. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Thomas Brudermann, Umweltpsychologe am Institut für Umweltsystemwissenschaften, Universität Graz.

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh.

Belazzi: Vor kurzem haben Sie ein Buch veröffentlicht: „Die Kunst der Ausrede“. Darin nennen Sie 25 oft genutzte Ausreden, die wir nutzen, um unser Verhalten in Richtung eines klimafreundlichen Handelns nicht ändern zu müssen. Mir hat Ihr Buch und die Hintergründe dieser Ausreden sehr gut gefallen. Was macht klimafreundliches Handeln so schwer?

Brudermann: Da fallen mir mindestens 25 Gründe ein. Ein wichtiger ist die fehlende Unmittelbarkeit, das fehlende direkte Erleben von Klima. Ob wir mit dem Auto oder zu Fuß unseren Einkauf im Lebensmittelgeschäft erledigen, viel oder kein Fleisch essen, die Auswirkung auf das Klima spüren wir nicht.

Belazzi: Da passt es auch gut dazu, dass wir als Gesellschaft viel lieber nach dem Reparatur-Prinzip handeln. Wir ziehen es vor, erlittene Schäden zu reparieren anstatt weitere Schäden zu verhindern.

Brudermann: Nachsorge ist leider beliebter als Vorsorge. Die Brandschutzbeauftragte ist eine Spaßverderberin, der Feuerwehrmann ein Held. Radikale, aber notwendige Vorsorgemaßnahmen kommen uns leider oft erst zu spät in den Sinn.

Belazzi: Liegt es auch daran, dass die Bedrohung durch die Klimakrise für viele eine abstrakte und keine konkrete Bedrohung ist?

Brudermann: Ja, es fehlt der direkte Feedback-Mechanismus. Der Klimawandel bereitet uns - und das zeigen Umfragen - Sorgen. In Österreich geben sich 50 % besorgt oder sehr besorgt. Im Vergleich mit anderen Sorgen wird Klimawandel aber nicht als wichtige Sorge eingestuft. Gesundheit, Beziehungen, Job oder aktuell die Teuerung sind unsere Hauptsorgen, auch weil diese unmittelbar spürbar sind.
Dazu kommt, dass viele Ausreden für nicht klimakonformes Handeln nutzen. Manche davon sind sogar ganz rational: Die Autofahrt zum Supermarkt ist schneller und bequemer, sagen wir uns. Die Flugreise in den Urlaub ist billiger und bequemer als die Zugfahrt, Fleisch ist billiger als Gemüse. Und gute Vorsätze schieben wir gerne nach dem Motto „Angenehmes bitte gleich, Unangenehmes später“ auf.

Belazzi: Dieses Verschieben von Unangenehmem auf morgen kennen wir aus vielen Lebensbereichen alle gut. Was ist die psychologische Erklärung dafür?

Brudermann: Einerseits fokussieren wir auf die Gegenwart und zinsen die Zukunft stark ab: Etwas Unangenehmes fühlt sich weniger schlimm an, wenn es in der Zukunft liegt. Außerdem spielen Gewohnheiten eine Rolle: Unser Autopilot spart uns im Alltag aufwendiges Überlegen und Hinterfragen, macht uns damit handlungsfähiger. Gewohnheiten sind daher ganz schwer loszuwerden, wenn sie etabliert sind. Es geht um die Effizienz des Gehirns, automatisierte Verhaltensweisen sparen Energie. Es gibt aber Gelegenheitsfenster, wo uns Änderungen leichter fallen. Das ist, wenn sich Lebensumstände ändern, etwa bei einem Job- oder Wohnungswechsel kann man sein Mobilitätsverhalten leichter ändern, mit einem neuen Partner oder dem ersten Kind die Urlaubs- oder Ernährungsgewohnheiten.
Autofahren, Fleisch essen, Urlaubsflüge usw. sind aber nicht nur individuelle Gewohnheiten sondern auch soziale Praktiken: Weit verbreitete Verhaltensweisen mit einer kulturellen Komponente, die über das Erfüllen grundlegender Bedürfnisse hinausgehen und in unserem sozialen Umfeld eingebettet sind.

Belazzi: Kann man dieses „Copy-Paste-Verhalten“ nicht auch für Veränderung nutzen?

Brudermann: Menschen sind zutiefst soziale Wesen. Einerseits orientieren wir uns an dem, was andere tun, andererseits können wir selbst auch anderen Orientierung geben. Gerade bei Klimathemen ist Vorleben viel effizienter als Vorbeten. Und beim gemeinsamen klimafreundlich sein bekommt man auch das sonst fehlende positive Feedback auf klimafreundliches Verhalten. Man kann etwa einen regelmäßigen veganen Kochabend mit Freunden veranstalten, um mit gleichzeitigem Genuss Impulse zu setzen. Den Klimaschweinehund erwischt man leichter, wenn man ihn gemeinsam einkreist.

Belazzi: Gleichzeitig setzt der Gesetzgeber zu wenige Anreize und Rahmenbedingungen für klimafreundliches Verhalten.

Brudermann: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die momentanen Rahmenbedingungen sind klimaschädlich. Die klimaschonende Option ist oft die schwierigere, teurere, unbequemere. Wir brauchen Strukturen für ein klimafreundliches Leben, das hat ein aktueller Bericht des Austrian Panels for Climate Change gerade ausführlich in 28 Kapiteln dargelegt. Der Gesetzgeber muss die Lenkungsmaßnahmen, z.B. in Form eines Klimaschutzgesetzes richtig setzen. Die Verantwortung für Klimaschutz kann nicht nur auf die Bürger:innen und Konsument:innen abgeschoben werden.

Belazzi: Abschließend kurz noch zurück zu Ihrem Buch. Die Ausrede, die ich am öftesten in Diskussionen höre, ist als Nr.9 angeführt. „Ich bin doch umweltfreundlich (im Großen und Ganzen)“.

Brudermann: Ja, die ist weit verbreitet. Die meisten von uns halten sich selbst für umweltfreundlich. Wenn wir dann Strom sparen, Müll trennen und keine Plastikflaschen kaufen, fühlt sich das gut an. Leider bezieht sich unsere Umweltfreundlichkeit oft auf die „low hanging fruits“ – einfache Handlungen im Alltag, die aber auch wenig Auswirkung aufs Klima haben. Und dieses gute Gefühl nehmen wir dann als Rechtfertigung für Autofahren oder den Urlaubsflug: Das wäre OK, weil man ja sonst immer so umweltfreundlich ist. Was wir vergessen, ist: Wir emittieren mit einem einzigen Überseeflug mehr CO2 als wir in unserem ganzen Leben mit Dingen wie Stromsparen einsparen könnten. Aber gefühlsmäßig geht es sich aus: Die „guten Taten“ geben uns die Lizenz zum Klimakillen, und das schlechte Gewissen kommt erst gar nicht auf.

Belazzi: Die Nachrichten zum Klimawandel schauen nicht gut aus. Die Klimaangst geht bei manchen um. Woher den Optimismus nehmen?

Brudermann: Ich halte diesen Klimafatalismus für Gift. Wenn wir uns nur einreden, dass es ohnehin schon zu spät ist und uns in Pessimismus üben, dann bringt das uns kein Stück weiter. Um weiterzukommen brauchen wir Hoffnung und Zweckoptimismus. Ja, die jüngsten Entwicklungen sind nicht erfreulich – die Fossilindustrie hat die Klimakonferenz gekapert und manipuliert den Diskurs, wo sie nur kann. Aber: Man weiß nie, was morgen kommt. Wir haben ja sowohl das Wissen über die Gefahren als auch die Lösungen und Technologien für den Wandel.
Auf individueller Ebene ist v.a. die gefühlte Selbstwirksamkeit entscheidend: Ich muss spüren, dass mein Beitrag etwas bewirkt, und wenn es nur die positive Resonanz der anderen ist. Ich bekomme z.B. sehr viel positive Resonanz auf das Buch und sehe, wie viele Menschen das Thema Klimaschutz bewegt – in allen Altersgruppen und allen Gesellschaftsschichten. Das alleine ist Grund genug, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Buchtipp: Thomas Brudermann: Die Kunst der Ausrede, Infos unter www.morawa.at oder in der Buchhandlung Ihres Vertrauens..

Anmerkung: Klima-Ausreden und -Illustrationen sammelt Dr. Brudermann auf www.klimapsychologie.com

Wien, im Dezember 2022