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„Wir helfen auch gegen `Broken Window Syndrom´“
Interview mit Dipl.-Ing. Markus Meissner im Bereich Ressourcenmanagement am Österreichischen Ökologie-Institut. Er ist Leiter von BauKarussell, das verwertungsorientierten Rückbau durch Social Urban Mining koordiniert.
Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh
Belazzi: Wie bist du zu deinem heutigen Arbeitsgebiet und zu BauKarussell gekommen?
Meissner: Ich habe Kulturtechnik auf der Universität für Bodenkultur in Wien studiert. Bald nach dem Studium war ich in der Abfallwirtschaft tätig, seit 2003 arbeite ich am Österreichischen Ökologie-Institut am Thema Ressourcenmanagement, sehr bald mit Schwerpunkt Re-Use. 2007 habe ich begonnen ein Netzwerk zwischen der Abfallwirtschaft und sozialwirtschaftlichen Betrieben aufzubauen, um gebrauchte Produkte, die in Abfallströmen sind, wieder in den Nutzungskreislauf zu bringen. 2015 haben wir mit den Partnern RepaNet und Romm ZT „BauKarussell“ gegründet.
Belazzi: Warum der Fokus auf die Bauwirtschaft?
Meissner: Der Rückbau von Gebäuden ist ein wesentlicher Stoffstrom, sowohl aus Abfall- als auch CO2-Sicht. Wenn wir uns nicht mit dem Thema Bauende beschäftigen, werden wir es nicht schaffen. 70 % des Abfallaufkommens und mind. 50 % der Primärressourcen Österreichs sind dort.
Belazzi: Was ist BauKarussell rechtlich?
Meissner: BauKarussell gibt es seit 2015 und ist derzeit eine ARGE von drei Organisationen mit dem klaren baldigen Ziel nach einer eigenen Rechtspersönlichkeit. Derzeit sind wir de facto ein StartUp, das den verwertungsorientierten, abbruchvorbereitenden Rückbau organisiert. Wir wickeln diesen ökologisch und sozial ab, daher nennen wir das von uns entwickelte Konzept „Social Urban Mining“.
Belazzi: Wie funktioniert es genau?
Meissner: Die planerische Expertise ist zentral bei uns. Die sozialwirtschaftliche Arbeit ist lokal am Standort des Gebäudes, genauso wie die Entsorgungs- und Verwertungsbetriebe lokal sind. So haben wir Projekte in Wien und Innsbruck, Graz und Linz umgesetzt.
Belazzi: Wie startet man als Bauherr oder Planungsbüro ein Social Urban Mining Projekt? Wie erkennt man, ob bzw. welches Potenzial ein Gebäude hat?
Meissner: Wir bieten für Bauherren ein individuelles Dienstleistungspaket an. Als erstes steht die Kontaktaufnahme – die Kontaktdaten – Telefon, E-Mail – sind auf unserer Homepage www.baukarussell.at zu finden. Die Vorgehensweise ist zweistufig. Nach einem Informationsgespräch bieten wir eine Potenzialanalyse zum Social Urban Mining an. Diese kostet einen niedrigen vierstelligen Betrag. Dafür begehen wir das Gebäude, bewerten die Potenziale, schauen uns den Schadstofferkundungsbericht an, die Gebäudepläne, den Bauzeitenplan usw. Abschließend besprechen wir mit dem Bauherrn, was im verfügbaren Zeitplan bis zum Abbruch möglich ist. Auf dieser Basis wird über den zweiten Schritt, das operative Tun – das Social Urban Mining – gesprochen und das Leistungsbild definiert.
Belazzi: Was kostet diese operative Leistung?
Meissner: Wir haben ein flexibles Konzept. Die oben erwähnte Potenzialanalyse liefert die Puzzleteile des projektspezifischen Konzepts. Wir stellen die Schnittstelle zum Abbruchunternehmen her. Ein Open Book Verfahren sorgt im Projektfortschritt für Transparenz. Grundsätzlich bewerten wir die möglichen Wertstofferlöse und bieten dem Gebäudeeigentümer dafür im gleichen Umfang abbruchvorbereitende Rückbauarbeiten an. Ziel ist es, die Arbeit aus den Werten des Gebäudes zu finanzieren. Falls die Wertstofferlöse höher ausfallen als erwartet, bieten wir dem Bauherrn weitere Rückbauarbeiten an. Natürlich gibt es umgekehrt auch ein Vorwarnsystem, wenn die Erlöse hinter den Erwartungen zurückbleiben. Der Bauherr kann am Ende unserer Leistungserbringung die von ihm durch Wertstofferlöse finanzierten sozialwirtschaftlichen Arbeitsstunden als Mehrwert kommunizieren. Beim Rückbau des Ferry-Dusika-Stadions in Wien waren es etwa 3.300 Stunden! Die Verbindung von sozialem und ökologischem Mehrwert bringt für Bauherren positive Resonanz etwa in der Medienarbeit, in der wir sie ebenso unterstützen.
Belazzi: Was kann alles rückgebaut und als Produkt wiederverwendet werden?
Meissner: Die Liste ist fast unendlich lang und immer projektspezifisch: Parkettböden, diverse Fenster und Türen, Waschbecken, Desinfektionsapparate, Kabeltrassen, Pflastersteine, Lampen aller Art, Sperrsysteme, Türportale, Akustikdecken usw.
Belazzi: Wer sind eure sozialwirtschaftlichen Partner?
Meissner: Abfallrechtlich ist es das Demontage- und Recycling-Zentrum DRZ, ein sozialökonomischer Betrieb der Wiener Volkshochschulen GmbH. Weitere Partner in Wien sind „Die Kümmerei“ der Job-TransFair gemeinnützige GmbH, eine Tochter des BFI Wien, und die Caritas SÖB. Wir haben weitere lokale Partnerbetriebe in den Bundesländern. Ihre Kernaufgabe ist es, Personen mit Benachteiligungen am Arbeitsmarkt temporäre Beschäftigung in Form von Transitarbeitsplätzen zu geben und sie auf dem Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu unterstützen. So erreichen wir das Ziel des AMS, Personen in Beschäftigung zu bringen. Wichtig ist uns, einen Wissens- und Erfahrungsaustausch durch gemeinsame Projekte, auch unter den genannten Partnern, zu erreichen. Die bautechnische Expertise liegt immer bei BauKarussell.
Belazzi: Wann sollte man beginnen an Social Urban Mining zu denken?
Meissner: Ganz zu Projektbeginn. Je früher dies eingeplant wird, umso besser. Objekte stehen monatelang, manchmal sogar jahrelang leer. Bei großen Objekten sollten wir mindestens sechs Monate vor Abbruch eingebunden werden. Denn die Bestandsobjekte mit den kreislauffähigen Bauteilen und Produkten sind de facto PopUp Stores oder Lager, die für ein befristetes Zeitfenster allen Interessenten zur Verfügung stehen. Denn wir können nicht auf unser Risiko etwa 500 Fenster oder Türen arbeitsintensiv ausbauen und für einen noch unbekannten Interessenten zwischenlagern. Derzeit läuft viel über Mundpropaganda und eine einfache Produktdatenbank auf baukarussell.at. Mittelfristig muss dies über eine zentrale Plattform mit hoher Frequenz ablaufen. Auch daran arbeiten wir.
Belazzi: Was sind Referenzprojekte der letzten Zeit?
Messner: Das o. a. Ferry-Dusika-Stadion der Stadt Wien ist eines. Weiters die ehem. Wien Energie Zentrale in der Mariannengasse, wo nun die Bundesimmobiliengesellschaft den MedUni Campus Mariannengasse errichtet, und das ehemalige Sophienspital, wo wir im Auftrag der neuen Eigentümer SOZIALBAU AG und WBV-GPA tätig waren. Wir haben auch bereits spannende Projekte in Linz (etwa für die LINZ AG) oder Innsbruck (für die Raiffeisen-Landesbank Tirol) umgesetzt.
Belazzi: Was ist das Broken Window Syndrom?
Meissner: Wenn Objekte monatelang leer stehen, dann wird irgendwann die erste Scheibe zerbrochen und im Haus tummelt sich unerwünschter Besuch. Wenn BauKarussell in dieser Leerstandszeit wochenlang Rückbau macht, entsteht Aktivität. Das reduziert aus unserer Erfahrung auch dieses Risiko, das wir intern „Broken Window Syndrom“ nennen. Dies ein positiver Nebeneffekt unserer Arbeit.
Belazzi: Wenn du einen Wunsch an die Fee hast, der sicher in Erfüllung geht, was wäre dieser?
Meissner: Social Urban Mining muss Mainstream werden. Es muss ins Standardprozedere jeder Projektentwicklung. So wie diese Nachschau im Verdachtsflächenkataster wegen Bodenkontaminationen macht, sollte sie zukünftig auch das Social Urban Mining Potenzial automatisch abfragen und darauf aufbauend dann handeln.
Wien, im Juni 2022