Dipl.-Ing. Martin Car

Dipl.-Ing. Martin Car, © BRV

„1991 war die Geburtsstunde des Recycling-Baustoffs“

Interview mit Dipl.-Ing. Martin Car, Geschäftsführer des Baustoff Recycling Verbands (BRV), der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr (FSV) und seit kurzem auch der European Quality Association for Recycling (EQAR).

Das Interview führt Dr. Thomas Belazzi, Geschäftsführer der bauXund gmbh.

Belazzi: Bitte um kurze Vorstellung Ihrer Person und des BRV.

Car: Ich habe Bauingenieur an der TU Wien studiert und parallel dazu Psychologie an der Universität Wien. Ich bin seit 33 Jahren Geschäftsführer des BRV, der die bundesweite Interessensvertretung der Baustoff-Recycling Wirtschaft ist. Unsere Mitglieder stellen etwa 80 % der in Österreich hergestellten Recyclingbaustoffe her. Das ist eine tolle Repräsentanz am Markt, über die wir uns sehr freuen. Auch Auftraggeber wie die ASFINAG, BIG und ÖBB sind bei uns Mitglied.

Belazzi: Sie sind seit 33 Jahren BRV-Geschäftsführer, wie lange gibt es den BRV bereits?

Car: 33 Jahre (lacht). Ich bin der Gründungsgeschäftsführer. Wir haben damals mit 12 Firmen angefangen.

Belazzi: Chapeau! Sie sind also ein Urgestein.

Car: Die BRV-Ziele sind günstige, praxistaugliche und zukunftsweisende Lösungen für die Bauwirtschaft und damit unsere Mitglieder zu bekommen. Wir haben gute Kontakte zu Forschungseinrichtungen, zur Normung, ins Ausschreibungswesen und auch zur Politik. Daher ist uns in der Vergangenheit Vieles gelungen. Österreich wird von vielen Nachbarländern, aber auch darüber hinaus, für die Rahmenbedingungen, die eine funktionierende Kreislaufwirtschaft braucht, beneidet. Aber es gibt auch noch einiges zu tun.

Belazzi: Die meisten Recyclingbaustoffe werden derzeit im Straßenbau eingesetzt. Warum?

Car: Die RVS-Kriterien, die von der Forschungsgesellschaft Straße – Schiene - Verkehr herausgegeben werden, sind das zentrale Regelwerk. Dort werde die Gütekriterien detailliert vorgegeben. Und diese gibt der Bund als Bauherr über ASFINAG, ÖBB etc. verbindlich für seine Bauvorhaben vor. Es gibt nichts Vergleichbares für den Hochbau.

Belazzi: Was waren die wichtigsten Erfolge des BRV?

Car: Der allerwichtigste war 1991 die Veröffentlichung der Richtlinien für Recyclingbaustoffe, die erstmals sowohl chemische und bautechnische Kriterien definierten. Damit gab es erstmals ein Regelwerk, das festlegte, wie Recycling-Baustoffe produziert werden sollen, also mit Qualitätskontrollen und definierten entsprechenden Gütezeichen. Erstmals konnten diese Baustoffe in der Ausschreibung angesprochen werden. Das war der Meilenstein, die Geburtsstunde der Recyclingbaustoffe und die Grundlage von allem.

Belazzi: Was waren weitere Erfolge in den letzten Jahren?

Car: Mit 1.1.2016 trat die Recycling Baustoff Verordnung in Kraft, was die Herstellung hochwertiger Recycling-Baustoffe viel einfacher gemacht hat. Denn Schad- und Störstoffe aus den Gebäuden müssen nun schon vor dem Abbruch durch fachkundige Personen, die sogenannte rückbaukundige Person oder eine einschlägige akkreditierte Prüfanstalt, identifiziert und vor dem Abbruch nachweislich rückgebaut werden.

Weitere wichtige Schritte für die Recycling-Baustoffwirtschaft waren die Veröffentlichung von drei zentralen Normen. Erstens die ÖNORM B 3140, die 2015 die technischen Grundlagen für Recycling-Baustoffe im Hochbau schaffte. Zweitens, die 2022 veröffentlichte, aktualisierte ÖNORM B 3151 für den sortenreinen Rückbau und drittens mit Jahresbeginn 2024 die ÖNORM B 3141, die definiert, wie Bodenaushub zum Recycling-Baustoff wird.

Belazzi: Von den über 77 Mio. Tonnen Abfall, die 2021 landesweit anfielen, waren mehr als 46 Mio. Tonnen Aushubmaterialien, wie Zahlen des Umweltbundesamtes zeigen. Davon wurde nur ein geringer Teil recycelt, 80 % wurden deponiert. Das sind 36 Mio. Tonnen Aushubabfall!

Car: Wir haben mit 10 Mio. Tonnen bereits eine hohe Recyclingrate bei Baustoffen, insbesondere Beton, Ziegel, Mauerwerk, Asphalt. Es stimmt, bei Aushub gibt es noch ein enormes Recyclingpotenzial. Um das zu nutzen, brauchte es zuallererst die vorher erwähnte ÖNORM B 3141, welche die Kriterien für Bodenaushub als Ausgangsmaterial für Recycling-Baustoffe definiert. Die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie verlangt, dass bis 2030, das heißt in etwa 5 Jahren, 25 % weniger Primärbaustoffe verwendet werden. Bei gleichem Bauvolumen müssen wir daher diesen Prozentsatz durch Recyclingbaustoffe auffüllen: Daher muss dieser Zielwert durch Einsatz von Bodenaushub als Quelle für neue Baustoffe erreicht werden.

Belazzi: Wie sieht das Potenzial bei Aushub aus?

Car: Es sind nicht alle 46 Mio. Tonnen Aushubmaterial verwertbar. Das Gesamtpotenzial ist derzeit nicht genau abschätzbar. Eine von mir an der FH Campus Wien betreute und 2024 abgeschlossenen Masterthesis ermittelte ein von den befragten Fachpersonen sehr unterschiedlich geschätztes Potenzial von 40 bis 80 %. Wenn man 65 % annimmt, dann wäre dies etwa 30 Mio. Tonnen. Mengenmäßig sind dies insbesondere Sand und Kies, die etwa in Beton, Asphalt oder als Tragschicht verwendet werden können. Weiters ist natürlich auch Lehm verwertbar, aber hier gibt es ein viel geringeres Mengenpotenzial. Insgesamt sehe ich die bis 2030 mögliche Menge bei etwa 10 Mio. Tonnen und damit einen großen Beitrag zur Erfüllung der Vorgaben der Kreislaufwirtschaftsstrategie!

Belazzi: In Österreich gibt es derzeit 1.111 Deponien, davon 90 %, die nur Bodenaushub aufnehmen. Ist dieses große Deponievolumen der Grund, warum kaum Aushubmaterial recycliert wird?

Car: Das ist nicht der wahre Grund. Bodenaushub kann sehr kostengünstig und ALSAG-frei, das heißt, er kann ohne Einhebung eines Altlastensanierungsbeitrags, deponiert werden. Die Deponiekosten von 4 bis 5 Euro pro Tonnen sind konkurrenzlos günstig. Jede Aufbereitung wie Brechen, Sieben etc. ist dagegen ein Mehraufwand. Doch es gibt noch einen zweiten Grund: Es fehlt das Abfallende. Jeder Bodenaushub, der von einer Baustelle weggebracht wird, ist per gesetzlicher Definition Abfall. Auch aufbereiteter Baustoff aus Aushub ist immer noch Abfall und nicht Bauprodukt, das macht diese nicht sexy. Daher brauchen wir das Abfallende für Recycling-Baustoffe aus Aushubmaterialien und das soll gemäß den Plänen des Umweltministeriums 2025 in Kraft treten. Wir haben im Hochbau das Abfallende für Baustoff von Abbruchbaustellen seit 2016. Und über 90 % erreichen heute dieses vorzeitige Abfallende.

Belazzi: Welche Lenkungsmaßnahmen braucht es, damit heute und zukünftig diese Recycling-Baustoffe aus Aushubmaterialien sowohl erzeugt als auch nachgefragt werden? Es gibt auch mit dem Abfallende weiterhin die günstigere Deponierungsoption.

Car: Ich erwarte, dass die EU-Taxonomie wichtige Impulse für Kreislaufwirtschaft liefert. Bauherrn von Taxonomie-konformen Bauvorhaben und deren Baufirmen sind zukünftig angehalten, die Vorgaben der Taxonomie zur Kreislaufwirtschaft zu erfüllen. Da gilt etwa im Tiefbau eine bis zu 100 %-ige Recycling Quote für die Tragschicht und im Hochbau eine bis zu 70 %-ige nachzuweisen. Damit sendet die Taxonomie VO Signale und Impulse, die derzeit besonders Großbaustellen und damit große Bauherrn, große Baufirmen und große Bauvolumina betreffen. Aber über die Subunternehmer dieser Baufirmen, die Teilnachweise für ihre Auftraggeber liefern müssen, werden diese Vorgaben auch bei kleineren Firmen in den nächsten Monaten ankommen.

Belazzi: Braucht es auch steuerliche Lenkungsmaßnahmen?

Car: Der ALSAG-Beitrag, den es sein 1989 im Altlastensanierungsgesetz gibt, ist eine Finanzabgabe auf Deponiegut, die sehr effizient wirkt und um die uns viele europäische Länder, die keine haben, beneiden. Derzeit ist Aushub davon ausgenommen. Es wird überlegt, einen weit geringeren ALSAG-Betrag, etwa 1 Euro pro Tonne Aushub, einzuführen, um die Ziele der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie noch rascher zu erfüllen.

Wien, im September 2024